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Iris Minder | Atelier: Höhenweg 7 | 2540 Grenchen
Grenchen, 31.12.2020

Liebe Theaterfreundinnen
Liebe Theaterfreunde
Das Jahr 2020 wird sich weltweit als Pandemiejahr ins Gedächtnis der Menschheit einprägen. Welches Gefühl überwiegt bei Ihnen, wenn Sie zurückblicken?
Es sind mehrere Gefühle: Dankbarkeit, Trauer und Hilflosigkeit. Auch ein grosses Staunen.

Könnten Sie das etwas näher erläutern?
Gerne. Ich möchte eigentlich beim Letzten beginnen, beim Staunen. Ich staune über Politik generell. Als ich mich für dieses Amt der Gemeindepräsidentin unserer kleinen Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte, ging es mir persönlich vor allem darum, für die Menschen, die Dorfgemeinschaft mit all ihrer Vielfältigkeit einzusetzen. Das geht vom gesundheitlichen, psychischen, physischen Wohlergehen über Kultur und ihre verbindende Kraft unter den Menschen, finanzielles Wohlergehen bis hin zur Sicherheit. Meiner Meinung nach ist das die vordringlichste und – ich brauche das Wort nicht gerne, finde aber kein besseres – heilige Aufgabe eines Gemeindepräsidenten. Deshalb staune ich, wie bei verschiedenen Jahresrückblicken von Kollegen die wirtschaftlichen Aspekte im Vordergrund stehen, das, was man berappen kann, benennen kann. Und das Jahr 2020 hat doch gerade gezeigt, dass all die anderen Aspekte, die ich vorhin erwähnt habe, von immenser Bedeutung sind und es unser Ziel als «Gemeindevater» rsp. «Gemeindemutter» sein sollte, in ALLEN Belangen für die uns anvertraute Bevölkerung da zu sein. Aber eben, das ist meine Meinung. Meine ganz persönliche, altbackene.

Und die weiteren Gefühle: Dankbarkeit, Trauer und Hilflosigkeit?
Ja, ich habe mich oft hilflos gefühlt, vielleicht auch überfordert mit der ganzen Situation. So gerne hätte ich patente Lösungen anbieten, wirklich helfend eingreifen wollen. Aber es blieb einem nur: Abwarten und sensibel bleiben. Ich hätte gerne mehr, viel mehr für meine Gemeinde tun wollen. Traurig bin ich nach wie vor über all das Verpasste, all das nicht Gelebte, über all die Menschen, die alleine sein mussten, alleine mit ihren Ängsten und ihrem Gefühl von Verlassensein. All diese nicht möglichen Kontakte ganz allgemein unter den Menschen, aber zu älteren Menschen, Kranken und Sterbenden im Besonderen. Traurig wegen der durch Covid19 Gestorbenen oder wegen denjenigen, die noch an den Folgen zu kämpfen haben. Traurig macht es mich auch, dass so viele kulturelle Anlässe einfach im Sand verlaufen sind. Wenn ich daran denke, mit wieviel Einsatz, Liebe, kreativen Ideen Profi- und Amateurkulturschaffende auf ihre Anlässe hin gearbeitet und gefiebert haben … und dann einfach Leere… Sport, körperliche Ertüchtigung, die nicht mehr sein konnte! Mir wurde in diesem Jahr bewusst, welche wichtige Funktion im Zusammenleben und Zusammenhalt einer Gemeinschaft gerade die Kultur einnimmt. Es hat mich berührt, wie gerade diese Akteure versucht haben ohne gross zu jammern, das Beste daraus zu machen und beispielsweise innovativ über elektronische Medien den Menschen Trost gespendet haben oder halt – um über die Runden zu kommen – irgendeinen Hilfsjob angenommen haben. Respekt. Dann die vielen kleinen Geschäfte, KMUs oder Gaststätten! Alles Orte der Gemeinschaft, des ganz normalen Alltags. Auch hier habe ich gestaunt, wie viele nicht einfach nur jammerten, sondern kreativ und mit Herzblut um Lösungen gerungen haben. Ich bin traurig, dass in dieser Beziehung für all die Erwähnten 2020 eigentlich ein verlorenes Jahr geworden ist.

Und Dankbarkeit?
Ich bin von ganzem Herzen dankbar, wie die Menschen meines Dorfes durchgehalten, sich geholfen haben und diesen ganzen Coronairrsinn mitgetragen haben. Ich bin jedem einzelnen dankbar. Hervorheben möchte ich hier jedoch ganz besonders all die Frauen und Männer, die unter schwierigsten Umständen für die Bevölkerung da gewesen sind und es immer noch sind. Ich denke da an die Spitex, die teilweise weit über ihre Kräfte hinaus, unsere kranken und hilfsbedürftigen Menschen rund um die Uhr gepflegt und betreut haben. Schon in «normalen» Zeiten eine grosse Herausforderung, aber zusätzlich noch all die aus dem Spital entlassenen Covid19-Patienten zu betreuen hatten! Was für ein unglaublich wertvoller und zentraler Teil einer funktionierenden Gesellschaft! Ich bin voller Dankbarkeit gegenüber den Betreuenden in den Heimen. Seit März schränken diese sich privat ein, sind sensibilisiert welche privaten Kontakte sie noch pflegen, damit sich ja das Virus nicht im Heim ausbreiten kann, damit sie ihre Bewohnerinnen und Bewohner pflegen und betreuen können. Menschen, die es durch das Eingeschlossensein besonders schwer getroffen hat, mit grossem Einsatz einen lebenswerten Alltag ermöglichten und nach wie vor ermöglichen. Und dann all die Pflegenden in den Spitälern! Was die leisten! Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren die Politik gerade alles, was die Pflegenden anbelangt (Spital, Spitex, Heime) bei ihren Budgets daran denkt und dort mit Anheben der Löhne und Unterstützung ihre Dankbarkeit und Wertschätzung ausdrückt. Ich bin dankbar gegenüber den Sicherheitskräften, die allen Widrigkeiten zum Trotz für uns da waren und die Massnahmen des Bundes überlegt durchgesetzt haben. Ich bin dankbar für all die Gewerbetreibenden, die dran geblieben sind, die selber kreativ aktiv geworden sind.

Ein grosses Dankeschön für all die Mitarbeitenden und Lehrpersonen, die sich weit über ihr "Soll" hinaus für uns Güetiwiler eingesetzt haben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Sehr weit vorausblicken kann ich nicht. Corona wird vermutlich wie jedes andere Virus bleiben. Wir müssen damit leben. Ich kann einfach nur hoffen. Hoffen, dass die Gemeinsamkeit, das Zusammenleben mit all den wertvollen Kontakten wieder aufleben wird. Dass Kulturschaffende nicht aufgeben, dass Gewerbler dranbleiben, Sport weiterhin betrieben werden kann und dass man all den Pflegenden die notwendige, finanzielle Anerkennung zukommen lässt, damit sie weiterhin für uns alle da sein werden. Es kann ja sein, dass jedes von uns einmal diese Hilfe in Anspruch nehmen muss.
Ich wünsche allen ein gesegnetes neues Jahr!

Ihre Iris Minder
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