Iris Minder

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E chli zrügg luege

Es gibt so viele Ereignisse im Laufe eines Lebens, die sich unwiderruflich eingeprägt haben. Aber scheinbar sollen sich ja viele ganz frühe Erinnerungen durch Erzählungen anderer so bildhaft festgesetzt haben, dass man nur MEINT, es sei die eigene, ganz persönliche Wahrnehmung.

Ich glaube ganz fest, dass es WIRKLICH meine eigenen Bilder der folgenden Geschichte sind, die ich im Kopf habe und nicht eingepflanzt durch Erzählungen meiner Eltern. Dieses Erlebnis geht sehr weit zurück. Ich muss damals 12 Monate alt gewesen sein. Sie schmunzeln? Kann ich verstehen!

Wer mich kennt, weiss, dass ich sehr aktiv, unternehmungslustig bin und manchmal etwas Mühe damit habe, eingeschränkt zu werden. Und genau damit hat meine Erinnerung zu tun.

Stellen Sie sich vor: Ein Laufgitter, Typ 50er Jahre, auf dem sonnigen Balkon, von der Stube aus gesehen, links. Meine Mutter hat mich gerade hinter diese «Absperrung» in Sicherheit gestellt und geht in die Küche, um das Zmittag vorzubereiten.

Ich also hinter den Gittern und will nur eines: Raus und zu meiner Mutter. Mit Müh und Not ziehe ich mich hoch. Ich glaube, es mehrmals versucht zu haben.

Dann plumpse ich ausserhalb auf den Balkonboden. Ob ich stolz oder erleichtert bin, weiss ich nicht mehr. Ich muss es einfach tun. Dann nichts wie los über die Schwelle. An diesen Teil erinnere ich mich nicht mehr ganz. Aber dann an mein Krabbeln vor dem Esstisch durch. Der liegt auf meiner rechten Seite und ich sehe ganz viele Stecken (Stuhl- und Tischbeine). Es wird mir dabei etwas bange zumute. Aber ich «schnogge» weiter.

Vorne links ist eine Türe. Sie führt in den Gang. Der ist dunkel und mir wieder etwas mulmig zumute. Auf der rechten Seite befindet sich eine Türe, durch die ganz weit oben durch ein kleines Fenster etwas Licht in den Gang fällt. Ich krabble weiter, weil ich weiter vorne rechts Geräusche höre. Dabei muss ich rechts an einer dunklen Wand vorbei. Wandschränke?

Anschliessend kommt erneut eine Türe mit einer Glasscheibe sehr weit oben. Ich höre dort meine Mutter. Es ist irgendwie laut und dampfig. Mit meinen Händen patsche ich an die Türe. Sie hört mich nicht. Jetzt bekomme ich es mit der Angst zu tun in diesem dunklen Gang und beginne zu weinen.

Plötzlich geht links von mir die Türe auf und mein Vater kommt rein. Ich höre einfach seine Frage: «Was machsch du de do?» Er hebt mich auf und öffnet die Küchentüre. Meine Mutter schaut völlig perlex. Sie trugen mich dann zurück ins Laufgitter und animierten mich, ihnen zu zeigen, wie ich da wohl rausgekommen bin. Was ich auch tat.

Wurde es zu meiner eigenen Erinnerung, weil meine Eltern diese Geschichte im Nachhinein immer wieder erzählten? Welches 12monatige Kind schliesslich schafft es schon, aus einem Gitter zu klettern und durch die ganze Wohnung zu robben? Oder kann ich mich echt selber daran erinnern? Meine eigenen Gefühle bei diesem Abenteuer konnten sie mir auf jeden Fall nicht erzählen. Oder reimt man sich das später einfach zusammen?

Wie dem auch sei. Meine rührige Art und meine grosse Mühe mit Grenzen, die irgendwer mir setzt, haben mir viel, sehr viel geholfen und es mir ermöglicht, das auszuüben, was mir entspricht, was ICH bin.

Aber manchmal hat es mich ehrlich gesagt auch in Bredouillen gebracht, mich zu Fehlern verleitet. Aber am Schluss gab es immer eine Rettung, eine Lehre, ein Weiterkommen, eine Versöhnung. Dies durch mich selber oder durch wunderbare Menschen an meiner Seite. So wie damals als mich mein Vater aus meiner Angst erlöste und mich staunend und höchst verwundert auf den Arm nahm.

Ich wünsche Ihnen rundum alles Gute!
Ihre Iris Minder

4 Kommentare

  1. Das ist wirklich unglaublich…und ich dachte es ist schon Wahnsinn, dass ich mich an meinen 2.Geburtstag erinnern kann. Ich habe eine Quitsch Ente zum hintersich herziehen bekommen und kann mich sehr gut ans Auspacken erinnern, so wie die ersten Erkundungstouren mit meiner kopfwackelnden Quitsch Ente 🙂

    Herzliche Grüsse und danke für deinen Blick zurück
    Karin

  2. Dir glaube ich das sofort, dass du übers Gitter geklettert bist. Dein Wille, vorwärts zu kommen, und den Horizont ständig zu erweitern, ist dir ja geblieben. Davon profitieren wir alle. Klettere weiter über einengende Gitter! Alles Gute!

  3. Etwas zum schmunzeln in diesen Tagen, tut ja nur gut und passt ja so gut zu dir. Nun können wir
    nur hoffen, dass wir alle ohne Schaden über das Gitter kommen, hinter dem wir heute alle stehen.
    E liebe Gruess u blib gsung, Hermann

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