Iris Minder

Blog

E chly zrügg luege (10)

Wenn man sich in die Kindheit und Jugend zurückerinnert, bei mir sind es die 50er und 60er Jahre, kommt man nicht umhin, an die Kommunikation zu denken.

Kürzlich habe ich den Blog eines Freundes gelesen, in dem er von den Zeiträubern Facebook, Instagram und weiteren sozialen Medien berichtet und wie er durchs Deaktivieren ein Gefühl von Befreiung erleben durfte. Da habe ich mich wirklich gefragt, wie man sich bis zur Erfindung des Smartphones und all diesen sozialen Apps informiert und Freundschaften gepflegt hat.

Man trifft sich und tauscht aus

Wie haben wir kommuniziert? Ganz einfach, nur dann, wenn man sich getroffen hat. Höchstens mal per Telefon, was aber teuer war und man von den Eltern immer wieder gemahnt wurde, nicht zu lange zu reden.

Wie war man damals über die Erlebnisse der andern informiert? Ganz einfach, wenn man sich getroffen hat.

Wie konnte man Fotos und Bilder zeigen und austauschen? Ganz einfach, wenn man sich getroffen hat.

Nur, so «gäbig» wie heute ging das bei den Fotos und Filmen nicht. Man musste einen Film entwickeln lassen. Das dauerte manchmal eine ganze Woche. Dann klebte man die Fotos in Alben und zeigte sie so bei einem Zusammentreffen den Freunden und der Familie und erzählte dabei, was man alles erlebt hatte.

Und da waren ja noch die Dias, die man an eine Leinwand oder weisse Zimmerwand projizierte. Zugegeben, das war nicht immer nur spannend.

Aber mal ehrlich: Wer schaut schon heute all die vielen Statusfotos auf Whatsapp oder auf den sozialen Medien mit Interesse an? Man behauptet ja immer wieder, dass man informiert sei, wenn man in sozialen Medien mitmacht. Ich habe jedoch manchmal das Gefühl, dass es da eher darum geht, sich selber zu präsentieren und weniger darum Informationen zu bekommen.

Man muss online sein

Für meine MOMO-Produktion fürs GÄNGGI habe ich bei Kindern, Jugendlichen und Älteren eine Umfrage betreffend Handygebrauch gemacht. Die Antworten haben mir zu denken geben.

So schreibt ein 12jähriges Mädchen, dass es ohne Handy viel mehr draussen wäre und mehr mit den Eltern reden würde.

Eine Jugendliche schreibt, dass sie ohne die sozialen Netzwerke einsam wäre.

Das Gefühl, vergessen zu werden, wenn man sich nicht immer präsentiert und alles immer wieder «liked», zeigt sich bei fast allen. Alle schreiben, dass sie Angst haben, abgehängt zu werden. Sie wären jedoch sofort bereit, auf soziale Netzwerke zu verzichten, wenn es andere auch täten.

Es gibt auch Leute, die an Sitzungen, wenn sie selber nicht reden, dauernd auf ihrem Smartphone herumfingern. Abwesende scheinen wichtiger zu sein, als die präsenten Menschen um sich. Ja, und so hängen alle auf der Strasse, in Geschäften, Restaurants und im ÖV neben Freunden an ihren Handys, um von den Freunden ja nicht vergessen und abgehängt zu werden! Eigentlich absurd!

Meine persönliche Sucht

ABER: Denken Sie jetzt ja nicht, dass ich mich da aufs hohe Ross setze. Ich bediene mich auch der Zeiträuber. Bei mir sind es jedoch nicht die sozialen Medien. Ich war kurze Zeit auf Instagram und Facebook und habe alles relativ schnell deinstalliert. Und erstaunlicherweise habe ich nach wie vor Freunde, Beziehungen und Austausch.

Aber halt persönlich, direkt … oder – ich gebe es zu – über Whatsapp oder Telegram.

Was mir aber Zeit raubt, mir negative Gefühle macht, Hilflosigkeit oder Ohnmacht, ist etwas anderes:

Das manchmal exzessive Lesen von Internetzeitungen und den Boulevardmedien wie 20 Minuten, Focus online und BLICK mit ihren oberflächlichen Sensationsberichten.

Während Corona beispielsweise schaute ich dauernd, ob es neue Nachrichten gab, ob die Zahlen steigen. Über Politiker wie Trump und Bolsonaro oder das Vogelsterben oder Coronaignoranten usw. usw. zu lesen, macht mir den ganzen Tag kaputt, deprimiert mich und alles wird irgendwie grau, ja schwarz.

Ich möchte diese Apps endlich löschen. Aber jetzt ist die Angst da, nicht mehr informiert zu sein, nicht zu wissen was geht.

Aber bin ich wirklich informiert? Wenn ich es vernünftig mit dem Kopf beantworte, muss ich sagen: Nein, tausend Mal nein.

Ich muss auch die mehr als peinlichen und dummen Kommentare der Leser nicht mehr lesen. Das alles tut mir nicht gut. Ein Abonnement für die App von fundierten Zeitungen mit Hintergrundinformationen, Analysen und Tiefe wären toll. Ich muss mal schauen, ob ich sie mir leisten kann.

Was ich immer gerne lese sind aber die lokalen Artikel des Grenchner Tagblatts. Ich werde die Boulvardmedienapps löschen … und schauen, wie stark die Entzugserscheinungen sind.

Fünf Freunde

Ich verabschiede mich nun mit meinem 10. Blog «E chli zrügg luege».

Natürlich bleibe ich dran, aber mit Aktuellem, Hoffnungsvollem und hoffentlich auch wieder mit Theaterprojekten.

So freue ich mich auf die persönlichen Begegnungen.

Und denken Sie daran, es braucht fünf nahe Freunde, um im Leben zufrieden und aufgehoben zu sein. Freunde aus Fleisch und Blut, nicht die digitalen. Dies ergab eine über 30 Jahre gemachte Studie bei Tausenden von Probanden.

Alle Gute! Ihre Iris Minder

4 Kommentare

  1. Liebe Iris

    Deine Rückblicke habe ich immer gerne gelesen. Ich erinnerte mich dann auch immer gerne an meine Erlebnisse, oder an die Erzählungen meiner Grossmutter. Es faszinierte mich immer, wenn sie erzählte, dass sie ab und zu ins Waschhaus an der Bettlachstrasse die Kinder waschen gehen konnte. Von Medien erzählte sie kaum. Doch war der Fernseher immer präsent, wenn ich als Kind bei ihr war. Ich wuchs mit dem Fernseher auf und mit 26 Jahren entschied ich mich mit Reto unsere Kinder in einem fernsehlosen Haushalt aufwachsen zu lassen. Als Salome auf die Welt kam, hatte Reto sein erstes Handy und wir hatten unseren ersten Computer. Als ich meine Lehre bei den SBB begonnen hatte, war ich unter den ersten Frauen. Mein erster Chef in Deitingen fand das gar nicht toll und ich musste eine Schürze anziehen und durfte nicht an den Schalter. Auch war auch in den meisten Köpfen, dass sie bis zur Pensionierung auf dem Bahnhof arbeiten würden. Doch noch während meiner Lehre lösten die ersten Computer die Kartonbillette ab, die Stellwerke kamen erst nach meiner Lehre an die Reihe. Und jetzt sind die meisten Bahnhöfe geschlossen und ferngesteuert. Unsere Kinder bekamen ihre ersten Handys mit 12 Jahren und sie können sich ein Leben ohne überhaupt nicht mehr vorstellen. Ich versuche es immer wieder, mir Zeiten ohne einzuplanen und es tut gut! Facebook und Instagram verwende ich mehr oder weniger nur als Werbeplattform, doch bin ich ja da auch schon wieder out, die Jungen verwenden jetzt Tiktok. Ich schreibe auch praktisch keine Kommentare, überall kann dies so richtigen Shitstorm auslösen, das finde ich so schlimm. Gesicht zu Gesicht würde es wohl niemand machen. Was ich sehr schade finde, das Briefe schreiben ist fast verschwunden. Manchmal nehme ich mir die Mühe und schreibe eine Geburtstagkarte. Aber früher hatte ich viele Brieffreunde und ich liebte es, Briefe zu bekommen, handgeschrieben auf Papier.
    Salome war im Val de Travers Schule geben. Sie wohnte bei einer Familie die kein frisches Wasser hatte, das fand sie unglaublich. Auch wenn einmal der Strom ausfällt ist das schon fast ein Weltuntergang. Vieles ist selbstverständlich geworden und bequem. Der Coronavirus schüttelt heftig und ich habe das Gefühl besonders die Jungen wehren sich und versuchen sich an der Normalität, dem Luxus festzuhalten. Ich bin stolz auf Salome und Andrin, wir können alles diskutieren und sie halten sich sehr gut an die Vorgaben. Aber was sie so erleben und mir erzählen ist manchmal schon für mich schwer zu verstehen. Salome erzählte gerade gestern von einem Mann im Zug der sich weigerte eine Maske anzuziehen, er schrie, dass er sich nicht manipulieren lasse. Er ist dann ausgestiegen bei der nächsten Haltestelle, er musste.

    Ich bin schon gespannt auf deine nächsten Blogeinträge!

  2. E chli zrügg luege, liebe Iris, es kommt mir einfach nichts schlaues in den Sinn.
    Doch die zwölf Jahre Theater machen mit dir und all den lieben Menschen, die
    ich dank dir kennen lernte, war einfach eine grossartige Zeit. Aufbauen, diskutie-
    ren, beraten, lachen, weinen, trauern, stolz sein auf das mit dir erreichte alles
    gehörte dazu. Rückblickend kann ich nur sagen, es war für mich eine Bereicher-
    ung dir zu begegnen und e chli zrügg luege isch für mi ou e dank a di.
    Hermann

  3. Liebe Iris, mir kam spontan etwas ganz Spezielles in den Sinn, sobald ich den ganzen Block gelesen habe: Nachhaltigkeit – bezogen auf Freundschaft … hat in unserer schnelllebigen Zeit Empathie überhaupt noch Platz? Freundschaft kann doch dazu beitragen, den Lebensmut nicht zu verlieren und Schicksalsschläge abfedern zu können. Ein wunderbares Beispiel ist unsere äusserst langjährige Freundschaft … ich danke dir von ganzem Herzen und hoffe, dass diese spezielle Nachhaltigkeit bald auch wieder die Handyjugend entdecken wird …

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