Wohlbehütet zwischen zwei grossen Mädchen im Ferienlager
In dieser Corona geprägten Zeit sind auch Ferien ein grosses Thema. Soll man gehen, wenn ja wohin? Unweigerlich denke ich da natürlich auch an die Ferien in meiner Kindheit und Teenagerzeit.
Wie ich bereits erwähnt habe, verdient mein Vater in den 50er Jahren als reformierter Lehrer im katholischen Luzern extrem wenig. Deshalb liegen in dieser Zeit bis in die 60er Jahre Ferien nicht drin. Das ist kein Thema. Aber meine Eltern leiten im Sommer jeweils während drei Wochen Ferienlager der reformierten Kirche Luzern. Meine Mutter ist zusammen mit anderen Frauen für die Verpflegung, die Pflege und erste Hilfe zuständig. Mein Vater für die Gesamtleitung und die Zusammenarbeit mit den Co-Leiterinnen und -Leiter.
Fast noch als Baby bin ich da bereits mitgenommen worden. Daran kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern. Später sind diese drei Wochen für mich paradiesisch: Freiheit, unter vielen jungen Menschen, die Familie «verdünnt».
Es gibt verschiedene Einteilungen: Die grossen und kleinen Buben und die grossen und kleinen Mädchen. Alle sind von zusätzlichen Leitern betreut worden. Und da haben wir kleine Gruppen gebildet, die während dieser drei Wochen dann verschiedene Aufgaben zu erfüllen haben. Ich erinnere mich natürlich nicht mehr an alle. Aber Völkerballspielen, gespielte Sketche, Spiele wie aus Wasserschüssel eine Schokolade oder einen Apfel essen, das Sammeln von Preiselbeeren, Basteln, Tisch decken, abräumen, Geschirr abwaschen und trocknen, den Esssaal wischen oder Ordnung rund ums Schlafen sind einige dieser Aufgaben. Jede Gruppe wird von den Leiterinnen und Leitern bewertet. Am Schlussabend gibt es dann eine Rangverkündigung.
Wo finden diese Ferienlager statt? In alten Militärbaracken in Saas Grund, S-canfs, Brigels (das ist heute im Stausee versunken) oder im Tessin. Den genauen Ort kenne ich nicht mehr.
Wir haben Massenlager mit Militärdecken: Alle Mädchen in einer Baracke und die Jungen in einer anderen. Ist das schön in der Freiheit zu schlafen, zu leben und nicht im kleinen Familienverbund! Das Essen ist immer sehr einfach: Suppe (Flädli, Gemüse, Mehl oder Kartoffelsuppe) zuerst, dann beispielsweise Fotzelschnitten mit Apfelmus, Hackfleisch mit Kartoffeln, Milchreis mit Zimtzucker, sicher auch Teigwaren mit Tomatensauce. An vieles erinnere ich mich nicht mehr. Wenn man gruppenweise auf die Suche nach Heubeeri geht, gibt es diese zusammen mit Rahm zum Znacht. Als Getränk gibt es vor allem Pfefferminztee. Zum Zmorge wird Kakao mit Brot, Anke und Vierfruchtkonfi serviert. Der Horror beim Kakao ist für mich, dass es sehr schnell obendrauf so eine furchtbare, «gschlüdderige» Haut gibt. Das löst bei mir wirklich Brechreiz aus.
Am Abend sitzt man oft zusammen, singt oder macht Gesellschaftsspiele. Besonders romantisch ist es, wenn wir an einem Lagerfeuer sitzen, Cervelats braten dürfen und auch immer wieder gemeinsam singen. Manchmal haben wir sogenannten Ausgang. Da dürfen wir im Dorf herumstreunen und die Gegend unsicher machen!
Für mich bedeuten diese Sommerferienlager wirklich sehr viel. Ich erinnere mich an ein Lager. Es ist vorbei und wir wieder zuhause. Ich bin am Boden zerstört und kann nicht aufhören verzweifelt zu weinen. Es ist für mich, wie wenn ich meine Welt verloren hätte.
Ab Mitte 60er Jahre machen wir dann ab und zu Kulturferien mit der Familie. Die Eltern zeigen uns drei Kindern die Kunstwerke, wertvolle Kirchen und Naturschönheiten in Europa. Ich bin dreimal* dabei gewesen: Tschechoslowakei und Ungarn, Camargue oder Nordwestdeutschland/Holland/Paris. Das sensibilisiert mich für das Wertvolle und Tiefe von Kultur, Geschichte, Leben und Menschen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar dafür. Das Besondere dieser drei Reisen ist Folgendes:
Stellen Sie sich ein 60er Jahre Citroën vor, vorne meine Eltern, der Kofferraum gefüllt mit Gepäck von fünf Personen. Aber jetzt kommt es:
Auf dem Rücksitz drei Jugendliche und dazwischen ein Hund, ein Airedaleterrier! Dabei darf man nicht vergessen, dass es noch sehr wenige Autobahnen gibt. Ich kann mir vorstellen, dass ein derart gefülltes Auto heute von der Polizei angehalten würde.
Ganz besonders ist, dass wir kaum je Hotels reservieren. Wir fahren aufs Geratewohl in ein Dorf oder eine Stadt und suchen spontan nach einem Hotel. Weil das Geld immer auch ein Thema ist, liegt häufiges Essen im Restaurant natürlich nicht drin. Und so ist im Kofferraum auch immer ein Campingkocher dabei mit dem meine Mutter im Hotelzimmer jeweils Spaghetti oder ähnliches zubereitet. Kochen im Hotelzimmer ist eigentlich streng verboten. Einmal klopft unerwartet der Hotelbesitzer an die Türe und voller Schrecken wird das kochende Essen schnell unters Bett verfrachtet. Schöne Zeiten! Unvergessliche Zeiten!
Alles Liebe
Ihre Iris Minder
*Ich bin nur dreimal dabei, weil ich zweimal das damalige sogenannte Obligatorium, die Pflicht-Hauswirtschaftsschule für Mädchen, in den Sommerferien besuchen muss! (Hat bei mir übrigens keinen grossen Nutzen gehabt!) Und dann – nach der Matura – bin ich von zuhause ausgezogen, um in der Ferne «das Fürchten zu lernen».
2 Kommentare
abenteuerlich schön Ich nehme an, das auf dem 1. Foto in der Mitte bist Du und schon damals scheinst Du eine Vorlidbe für die Farbe rot gehabt zu haben
wunderschöne, eindrucksvolle Erinnerungen, liebe Iris. Der letzte Satz hat mich zum Schmunzeln gebracht, aber auch sehr nachdenklich gestimmt … darüber müssen wir beide einmal reden … honi soit qui mal y pense … häb e guete Wuchestart