Iris Minder

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Der Seetalplatz

Diese Woche habe ich eine Reise zurück an den Ort meiner Kinderheit (bis 15 Jahre) unternommen. Wir haben Emmenbrücke besucht.

Sie beobachten sicher wie ich, die immensen Veränderungen an den Orten Ihrer Kindheit. Erinnerungen sind nur noch Bilder und Geschichten. Die alten Orte gibt es nicht mehr so, wie man sie erlebt und in ihnen gelebt hat. Bei mir sind es etwas mehr als 50 Jahre her, seit unsere Familie Emmenbrücke verlassen hat und nach Luzern umgezogen ist.

Während wir in dieser Wocher in der Neuzeit herumspazieren, tauchten natürlich viele Erlebnisse auf.

Der Seetalplatz

Heute ein Gewirr von Abzweigungen, Strassen, Autos, Drähten. In meiner Kindheit ist der Platz ruhiger und leer. Es gibt leicht erhöht auf der linken Seite (von der Marienkirche ausgesehen) vor den Geleisen eine Metzgerei. Da erinnere ich mich, dass die ganze Familie einmal durch dort gekaufte Cervelats eine Fleischvergiftung aufgelesen hat. Es gibt ebenfalls links einen Kiosk, bei dem ich ab und zu mein Sackgeld in den damals neuen und heiss begehrten Kaugummi verwandle. Oder die Busstation als Holzunterstand auf der Seite der Viscose. Manchmal liegt auch der Geruch dieser Fabrik, die den Kunststoff Viscose herstellt, penetrant in der Luft. Oder auf der rechten Seite des Platzes befindet sich eine Drogerie oder Apotheke. Wenn ich heute den Seetalplatz erlebe, dann besteht er nur aus Hektik und Stress. Ich würde heute nie mehr mit dem Velo dort durchfahren, wie ich es damals ab und zu mache, um so übers Reussbühl und Littau nach Luzern ans Gymi zu fahren. Wir haben uns diese Woche dann auch mehrfach verfahren, als wir vom Bahnhof Emmenbrücke zur Talstrasse gelangen wollen. Chaos pur!

Die Herdschwand

Unglaublich diese Veränderungen! Auf dem Google-Bild ist alles  mit Einkaufszentrum und Wohnhäusern überbaut. Wir sind als Kinder dort Ski gefahren. Ein Bauernhof mit einem grossen Obstbaumgarten (Foto: Von der Eschenstrasse aus der Blick aufs Einkaufszentrum) befindet sich dort. Eine alte Foto dieser Gegend habe ich nicht gefunden, aber eine rund um die Marienkirche. Sie gibt einen guten Eindruck, wie es in meiner Kindheit rundum gewesen ist. Mit den Skis sind wir von der Talstrasse aus zur Herdschwand gestapft, um auf die kleine Erhöhung zu steigen und dort herunter zu fahren. Allerdings oft ein mühsames Unterfangen: Viel zu grosse und zu schwere Holzskis, mit Zapfen vorne. Einfache Lederschuhe zum Binden und Keilhosen aus Stoff. Oft ist man bis auf die Haut nass und friert dementsprechend. Und wenn die Holzlatten nicht richtig gewachst werden, muss man sich mit schweren «Klöben» mühsam herumplagen. Zum Glück ermöglichen uns die Eltern viel später, Skieferien im Engadin zu erleben, und dies mit etwas besserem Material. Die Skiferien sind allerdings nicht mit heute zu vergleichen. Ich erinnere mich an unsere Wohnung in S-canfs, direkt am Inn. Es gibt keine Heizung, sondern nur einen Ofen in der Küche. Die Stromdrähte schwirren in der Kälte und die Bettdecken sind steif gefroren. Aber wenn man mal warm hat, kann man tief und fest und herrlich schlafen.

Der Zoo Zeder

Man kann es fast nicht glauben. Aber an dieser Stelle gibt es in den 60er Jahren einen kleinen Zoo. Er wird von einem Herrn Zeder geleitet. Vor allem einheimische Tiere sind dort. Aber ich erinnere mich auch an eine Wildkatze (ich weiss nicht mehr genau welche), die mich beschäftigt und mit der ich grosses Mitleid habe, weil sie so auf engem Raum eingespert ist. Wenn man Herrn Zeder altes Brot bringt, kann man gratis zu den Tieren. Ich habe überall Brot zusammen gebettelt und gehe immer und immer wieder dorthin. Fasziniert bin ich vom Pfau. Ich warte oft lange, damit er endlich sein herrliches Gefieder aufstellt und gehe enttäuscht nachhause, wenn dies nicht passiert. Bei mir taucht jetzt auch noch ein Gerücht auf. Irgendetwas wird erzählt von: Herr Zeder würde kleine Mädchen belästigen. Ob da was dran ist, weiss ich nicht mehr. Ich selbe habe nie etwas gemerkt.

Die Talstrasse 19

Auf der Foto rechts sieht man das Haus, wie es in etwa in meiner Kindheit gewesen ist. Diese Aufnahme habe ich vor rund 7 Jahren gemacht. Wir wohnen ganz oben. Heute ist es ein völlig anderes Haus, total saniert und modernisiert und das Dachgeschoss zu Wohnungen ausgebaut. Man sieht ihm die 50er Jahre Architektur nicht mehr an. In meiner Kindheit haben wir im Dachgeschoss zwei Mansardenzimmer. Eines darf ich als Rückzugszimmer benutzen, dient aber auch als Spielzimmer für uns alle. Das andere wird lange an einen sogenannten Zimmerherrn    vermietet, einem Herrn Lötscher, der auch bei uns am Tisch isst. Einmal kommt er zur Wohnungstüre rein. Ich sitze im Gang am Boden, auf die Hände gestützt und spiele mit meinem Bruder mit dem Ball. Er öffnet die Türe und meine Finger werden furchtbar eingeklemmt. Später ist diese Mansarde übrigens das Büro meines Vaters geworden.

Der Sedel

Wenn man heute von Emmenbrücke nach Luzern kommen will, dann nimmt man vor allem das Auto. Es geht über den Sedel, zum Rotsee hinunter, dann wieder hinauf und dann den langen Weg weiter Richtung See oder wie bei uns damals an die Libellenstrasse zu den Grosseltern. Der Sedel, dieses grosse Gebäude, ist in meiner Kindheit ein Gefängnis, vorher gehört es zum Schwester-Kloster Rathausen. In den 1980er Jahren hat die Stadt Luzern es für die Musikszene übernommen und dort Probe- und Kulturräume eingerichtet, die bis heute bestehen.

Ich erinnere mich an ein besonderes Ereignis. Am 9. Februar 1961 sind mein Vater, mein Bruder und ich morgens um 3 oder 4 Uhr von der Talstrasse über den Sedel nach Luzern zum Schwanenplatz unterwegs. Es ist Schmutziger Donnerstag und wir wollen an der Tagwacht durch den Fritschivater teilnehmen. Auf dem ganzen Weg sehen wir auf der Rigi ein riesiges Feuer. Wir werweissen, ob es ein Brand ist oder ob es ein neuer Brauch ist, so im Sinne eines Fasnachtsfeuers. Später vernehmen wir dann, dass das Grand-Hotel Rigi Kaltbad brennt. Elf Personen sind im Feuer umgekommen. Für die Feuerwehrmänner aus Weggis eine schwierige Arbeit, kommen doch die meisten direkt von einer Fasnachtsveanstaltung. Meine Schulkollegin, Elisabeth Keller, erzählt uns dann in der Schule viel über den Brand. Ihr Vater ist Fotograf und hat, neben dem Geschäft an der Eschenstrasse, in der Nähe des Grand-Hotels ein Fotogeschäft und somit dieses Unglück persönlich miterlebt.

Es ist schon unglaublich wie sich Orte, Landschaften und Gesellschaft verändern. In diesen vergangenen 50 Jahren ist so viel verbaut worden, ist so viel an Natur verschwunden! Und das meiste wegen dem Verkehr, wegen dem Einkaufserlebnis aber auch wegen der Zunahme an Wohnungsbedarf. So ist es halt … aber etwas Wehmut entsteht schon, und ich stelle mir unweigerlich die Frage:

Wie geht es weiter? Oder wie erleben Sie heute die Orte Ihrer Kindheit?

Ihre Iris Minder

10 Kommentare

  1. Danke für die Erwähnung in deinem zrügg lüge habe den Brand wirklich haut nah erlebt wir waren auf Rigi Kaltnadelradierung da wir Ia Ferien hatten und wir in den Ferien immer oben waren keine schöne Erinnerung für mich

    1. Liebe Elisabeth. Ich kann mich noch sehr gut an deinen Schock erinnern. Du hast auch erzählt, dass Hotelgäste und Angestellte nur im Pijama und Nachthemden in die Kälte geflohen sind. Wenn ich mich richtig erinnere, durfte ich für ein paar Tage ab und zu zu euch ins Kaltbad kommen. Ich denke auch wenige Wochen nach dem Brand. Auf jeden Fall habe ich noch den Brandgeruch in der Nase. Herzlichst Iris

  2. liebe Iris, wie wäre es, wenn du deine Kindheits- und Jugenderinnerungen bis ins Jahr xxxx weiter beschreibst und schlussendlich in einer „Biografie“ veröffentlichst? Du schreibst wunderbar, auch Nichtluzerner können alles bestens nachvollziehen …

  3. Liebe Iris,
    du hast recht alte Dörfer und Städte haben sich enorm verändert. Gut gibt es in der Schweiz einige Archive die diese alten Aufnahme besitzen. Zum Bespiel: das Eidg. Achiv für Denkmalpflege in Bern. Evtl findest du auch dort Aufnahmen von deiner Region, der “sogenannten guten alten Zeit” Liebe Ernst

    1. Liebe Iris
      Im deutschsprachigen Kanton Freiburg bin in aufgewachsen. Im Weiler Blattishaus, Gemeinde Ueberstorf,der besteht aus der ehemaligen Käserei (wo ich aufgewachsen bin) und 5 Wohnhäusern, wovon ein einziges ein kleiner Bauernhof war.
      Du wirst es nicht glauben, es hat bloss sehr wenig bauliche Veränderungen gegeben an den bestehnden Häusern. Kein Neubau, keine Veränderung, gar Nichts. Wunderbar in grüne Hügel
      eingebetet ist dieser Weiler unverändert wie vor 8o Jahren.
      Natürlich die Käserei existiert nicht mehr, der Nachbar hat dort eine Getränkehandlung eingerichtet, aber das sieht man dem Gebäude nicht an. Die grosse alte Eiche fehlt unter dem Haus!
      Gelegentlich fahren wir in meine alte Heimat und staunen, dass alles noch gleich ist, aber
      es ist vermutlich zu weit vom Schuss

      Liebe Grüsse Margrit.
      !

  4. Ich erinnere mich auch an den Zoo. Am Eingang war eine Art grosses Terrarium/Landschaft mit weissen Mäusen. Gerade kürzlich habe ich davon gesprochen und niemand konnte mir das bestätigen. ich dachte schon ich hätte das geträumt.

  5. Aber da gab es auch noch einen Zoo im Alpenquai vor der 20 Badi. Der war auch Zeder. Mag mich erinnern da mussten wir hindurch wenn wir zum ominösen Bademeister Brügger zum Schwimmuntericht mussten.

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