Iris Minder

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Berufswahl ist entscheidend und einschneidend. Gut, heute, so sagt man, wählt man mal etwas und kann es immer noch ändern.

In den 50er und 60er Jahren ist das eher nicht so. Die Meinung ist, dass ein Beruf fürs Leben sei. Es gibt natürlich auch nicht dermassen viele Möglichkeiten an Weiterbildungen, weiterführenden Ausbildungen und vielfältigen Berufen wie heute. Wie ist das bei mir gewesen? Eines schon jetzt: Viele Sackgassen mit einem Happy-End.

Wie ich schon mal kurz in einem Blog erwähnt habe, habe ich mit sechs Jahren bereits gewusst, dass ich ans Theater gehen würde, als Schauspielerin. Dieser Beruf, dieses Ziel ist für mich jedoch derart begehrt, derart hoch bewertet, dass ich den Mut nicht habe, ihn wirklich anzustreben. Ich bin der Meinung, dass ich dafür nicht genüge. Es ist schlicht und einfach ein unerreichbarer Traum, eine weit entfernte Welt für mich. Was soll ich aber sonst «werden»?

Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Nicht die geringste Ahnung. Meine Eltern weisen mich darauf hin, dass ich intelligent sei und gute Noten habe und es deshalb gut sei, dass ich das Gymnasium mache. Nach einem Fehlstart beende ich dann das Städtische Gymnasium in der Musegg in Luzern mit der Matura. Aber jetzt? Meine Maturaarbeit habe ich über die alten Inka-Kulturen gemacht. Archäologie ist ein Thema. Ich will unbedingt in Bern studieren, da ich dann nicht pendeln muss. Da Literatur, Schreiben und Sprache für mich wichtig sind, beschliesse ich, Germanistik zu studieren. Aber was sonst noch? Geschichte. Ok. Aber man braucht fürs Lizentiat (heute Master) drei Fächer. Theaterwissenschaft gibt es damals nicht in Bern. Es gibt nur Theatergeschichte-Vorlesungen innerhalb des Germanistikstudiums. Dann muss man für Germanistik noch Linguistik nehmen. Der langen Rede kurzer Sinn: Ich fühle mich völlig unwohl und fehl am Platz. Aber wie und was? Theater ist nach wie vor ein unerreichbarer Traum. Ich habe dann privaten Schauspielunterricht genommen, aber als der Lehrer meint, es gehörte auch dazu, mit ihm ins Bett zu gehen, lasse ich es sein. Ich fühle mich verloren.

Ich versuche als Quereinsteigerin die Prüfung ins Seminar zu machen. Lehrerin könnte auch was sein, umso mehr als ich nebenbei immer auch an einer Privatschule unterrichte. Völlig naiv und unvorbereitet bin ich an diese Prüfungen gegangen … und habe nicht bestanden.

Nach einem halben Jahr Servieren im Schnittweiherbad oberhalb Steffisburg, finde ich, dass ich einen Beruf haben muss. Und da rase ich erneut in eine Sackgasse. An der Schule Dr. Rischik absolviere ich die Ausbildung zur Chefsekretärin. Dreisprachige Korrespondenz, dreisprachige Stenografie usw. Zwei Dinge erweisen sich bis heute als äusserst positiv: Das schnelle Maschinenschreiben (ein Segen, wenn ich arbeite und die Gedanken in riesigem Tempo fliessen) und die Freundschaft zu Mariann, einer meiner Lehrerinnen. Ich lasse dann diesen Beruf schnell wieder fallen, weil ich einfach keine Chefsekretärin bin und unterrichte an dieser erwähnten Schule.

Gegen Ende meiner Ehe stehe ich erneut vor einem Problem: Keine Kinder (wünschte mir fünf!), kein Beruf, der zu mir passt. Jetzt fasse ich den Mut und will erneut an die Uni. Als Studium wähle ich Europäische Ethnologie, Germanistik und vergleichende Religionswissenschaft. Es fasziniert mich und ich schliesse mit dem Lizentiat, mit einer Summa cum laude Bewertung, ab. Und auch hier erweisen sich zwei Dinge als äusserst positiv: Dank dem abgeschlossenen Studium bekomme ich die Stelle in Grenchen als Leiterin vom Amt für Kultur, das ich mit viel Engagement, Kreativität und Herzblut aufbaue. Und während der Ausbildung freunde ich mich mit der Germanistiksekretärin Erika an. Auch diese Freundschaft hält bis heute.

Wieder werde ich nach ein paar Jahren unruhig. Theater als Beruf, professionell auszuüben (und nicht wie lange Jahre als Hobby) geht mir einfach nicht aus dem Kopf, ein richtiges Drängen. Ich habe zwar in Grenchen die heutige Schopfbühne gegründet und die Gesamtschule für Theater mitbegründet. Aber es genügt mir nicht. Deshalb mache ich die Ausbildung zur Theatertherapeutin auf der Grundlage der Jungschen Psychologie. Das Ausbildnerehepaar, Helmut und Ellynor, hat mich in dieser Zeit unterstützt und mir Mut gemacht, Theater beruflich anzugehen. Sie zeigen mir, dass mehr in mir steckt als ich glaube und es genau MEIN Weg ist.

Ja, und dann der Sprung ins kalte Wasser, das Packen der Chance … und dann bin ich endlich angekommen und bereue es bis heute nicht. Ich habe dann auch doch noch Theaterwissenschaft studiert. Und jetzt bin ich beruflich immer noch dort, wo ich bereits als Sechsjährige hinwollte: Im Theater!

Und all die Sackgassen, so denke ich, mussten sein. Sie bescherten mir zwar eine Menge Verzweiflung, Trauer, Tiefs, Verlorenheit und Ausgeliefertsein. Sie haben mich aber zu der gemacht, die ich heute bin. Und ich bin rundum zufrieden, auch wenn mich nach wie vor immer wieder Selbstzweifel , Tiefs und das Gefühl, nicht zu genügen, belasten.

Bleiben Sie gesund!

Ihre Iris Minder

8 Kommentare

  1. Liebe Iris

    Ja jede/jeder kennt diese Sackgassen mit den dazugehörenden Gefühlen…wenn auch jede/jeder in einer andern Thematik. Ich bin wie du überzeugt, dass diese Tatsachen uns zu dem Menschen machen, welchen wir sind und noch sein werden.
    …und dann kommen die Einflüsse, Begebenheiten und Auflagen von aussen, welche uns aus unserer Bahn werfen wollen – dies auszuhalten, an einem gezerrt werden, das ist ganz schön schwer und mit vielen wenn und aber verbunden!

    Liebe Iris ich wünsche dir von ❤en weiterhin sprudelnde und kreative Gedanken zum Wohle von uns Kulturliebhaberinnen/-haber

    Herzlichst Karin

  2. spannender Lebenslauf! Warum schreibst Du eigentlich nicht Deine Memoiren in Buchform?
    Das wäre mega spannend zu lesen in der lustvollen Art wie Du schreibst.

  3. Liebe Iris, wirklich spannend Dein Lebenslauf. Und ja, ich glaube auch, dass wir werden, was wir sind. Trotz aller Verbiegungen durch so viele und vieles. Bei mir allerdings hat’s mit dem Durchblick noch nicht geklappt….

  4. Liebe Iris,
    wenn wir uns treffen, sind wir fast immer ganz in der Gegenwart, darum habe ich deine verschiedenen Lebens-Etappen nicht so realisiert. Ich staune darüber, obwohl mein Leben ja alles andere als in einer Geraden verlief. Danke, dass du uns das so anvertraust, und vielleicht könnten wir ja die Corona-Tage auch einwenig nutzen, uns mehr zu erzählen von unseren Umwegen und Stolpersteinen. Man bekäme Mut, die momentane Phase anzugehen und auch als Teil des eigenen Weges zu sehen. Ich wünsche mir auch eine Zeit, wo wir dann wieder in deinem Gänggi sitzen dürfen…Bin zuversichtlich, dass sie kommt!

  5. liebe Iris, ist es nicht etwas vom Wertvollsten, wenn man einen Menschen über eine kurze oder längere Zeit begleiten darf – in guten wie in schlechten Zeiten? Kein Handy, iPad oder Computer ersetzt die gemeinsam erlebten und gefühlten Momente mit vielen Hochs und Tiefs … Selbstzweifel verfolgen alle Menschen, die ihr Handeln stets hinterfragen … helfen jedoch, stets auf der Hauptstrasse zu wandeln statt sich in einer Sackgasse zu verlieren … mir geht es auf jeden Fall genau gleich …

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