Iris Minder

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Wie war das so in der Kindheit, wenn es ums Fehlermachen ging? Durften Fehler gemacht werden? Musste man Angst vor Strafen haben? Was hatte es mit uns gemacht? Was sind eigentlich Fehler?

Sicher ist, dass gerade die letzte Frage sehr differenziert betrachtet werden muss. Ich beschränke mich jedoch auf unseren ganz normalen Alltag. Grundsätzlich kann man sagen, dass ein Fehler der Teil ist, der bis zu einer festgelegten Norm fehlt. Etwas entspricht nicht der Vorstellung von etwas Perfektem. Wenn man sich eines Fehlers bewusst ist oder einem Fehler vorgeworfen werden, ist dies mit Scham, schlechtem Gewissen und dem Gefühl verbunden, nicht gut genug oder nicht richtig zu sein.

Man muss sich in Erinnerung rufen, dass der Erziehungsstil in den 50er und 60er Jahren noch völlig anders war als – so hoffe ich doch – heute. Ohrfeigen, in die Ecke stehen, vor die Türe geschickt werden oder andere körperliche Strafen waren normal und gehörten zum pädagogischen Programm. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich als Kind vom Lehrer bestraft wurde, weil ich es einfach nicht schaffte, sogenannt schön zu schreiben. Also so zu schreiben, wie es die Norm verlangte. Dabei hatte ich mich immer sehr bemüht und es einfach nicht geschafft. Das Resultat war, dass ich wegen dieses Fehlers mit «Tatzen», Schlägen mit dem Lineal auf die Hände, bestraft wurde. Und? Hat es was genützt? Das beurteilen lieber die, welche handgeschriebene Briefe oder Notizen von mir erhalten!

Ich war ein wildes, unbändiges, nicht leicht zu händelndes Kind, was mich unter anderem in der Schule zur Aussenseiterin machte.  Alle Sanktionen in Schule oder zuhause von Hausarrest über Drohungen ins Heim zu müssen bis hin zu Übergehen hatten einfach zur Folge, dass ich zur Überzeugung gekommen war, dass ich, so wie ich war und mich verhielt, nicht richtig war. Und das bringt man sein ganzes Leben nicht mehr ganz los.

Eine betagte Dame meinte kürzlich, dass man ihr bei Fehlern oder Fehlverhalten immer gedroht hätte, der liebe Gott würde sie bestrafen. Sie hätte dann immer gedacht, das sei doch kein lieber Gott, wenn er Kinder bestraft, die ja noch am Lernen sind und es noch nicht besser können oder wissen!

Schon traurig, wenn vielen beim Zurückerinnern vor allem in den Sinn kommt, was sie falsch gemacht haben und nicht, was sie alles gut gemacht haben. Stolz eine Note 5 nachhause gebracht? Reaktion: Eine 6 wäre besser. Etwas gebastelt? Reaktion: Was soll denn das sein? Man zeigt stolz etwas Gelerntes. Reaktion: Gut, aber …. Ich frage mich, wie weit dies alles die Kinder ihr Leben lang prägt. Ist es möglich, dass sie dann als Erwachsene bei anderen auch nur noch das sehen, was alles bis zu ihrer eigenen Vorstellung, wie etwas zu sein hat, fehlt? Ist es möglich, dass sie sich als Erwachsene nicht getrauen Freude an sich und dem was sie schaffen zu haben, weil sie der Meinung sind, dass ihre Fehler schwerer wiegen? Ist es möglich, dass sie als Erwachsene der Überzeugung sind, weil sie nicht perfekt sind und Fehler zum Leben gehören, nicht liebenswert sind?

Ganz grundsätzlich: Ist etwas oder jemand mit Fehlern, weniger wert als sogenannt Perfektes? Dann wäre kein Mensch, kein Lebewesen, kein Tun ja selbst die Natur weniger wert. Fehler gibt es überall. Denke ich. Wo ist das rundum Perfekte?

Ich beobachte, dass viele immer nur das, was nicht der eigenen Vorstellung von perfekt entspricht, an sich und den andern sehen. Warum nörgeln, kritisieren, missachten und schütteln so viele den Kopf, wenn sie andere beurteilen? Kann es daran liegen, dass wir in der Kindheit erlebt haben, dass Fehler bestraft werden müssen, dass Fehler unverzeihlich sind, dass Fehler nicht sein dürfen. Sind wir dazu erzogen worden, nur die Fehler zu sehen und uns nicht an dem erfreuen dürfen, was an Vielfältigem ist, was an Gutem und Positivem ist? Auch wenn es nicht perfekt ist?

Warum kann man nicht sagen: Hei, super Dein Mut! Toll, gehst du deinen Weg. Super, bist du so ernsthaft am Üben. Wunderbar, bist du so engagiert. Will man seine Unzulänglichkeit, seine Fehler verstecken, indem man den andern nicht lobt? Ich weiss es nicht und habe keine Antwort.

Fehler passieren. Tagtäglich. Sie sind häufig mit Scham und schlechtem Gewissen behaftet. Ich kann da ein ganz aktuelles Beispiel von mir erzählen. Ein Beispiel, wo ein Fehler zu Fehlern führte. Meinen letzten Krimi GRENCHHNERNETZ habe ich minutiös durch zwei versierte Frauen korrigieren lassen und das ganze Manuskript Wort für Wort, Zeile für Zeile überarbeitet. Aber dann ein Moment der Unaufmerksamkeit, der Konzentrationslosigkeit: Statt die korrigierte Datei in Druck zu geben, sendete ich das nur teilweise korrigierte Manuskript. Ich war so stolz und überzeugt, dass bald mein Krimi fast ohne Druck- oder Rechtschreibefehler vorliegen wird. Und dann die Ernüchterung! Ich schäme mich noch jetzt und habe das Gefühl, dass mein Werk nichts mehr wert ist. Das Gefühl, dass alle Leser*innen mich als unfähig zu schreiben aburteilen. Scham. Trauer. Gefühl von Minderwertigkeit. Das Ziel, – trotz seriösen Bemühungen – sprachlich fehlerfrei zu schreiben, weit verfehlt! Aber, es ist jetzt so. Das Einzige, was ich kann: Das nächste Mal viel besser aufzupassen!

Ein Schweizer Regisseur, der in Hollywood arbeitet, meinte einmal sinngemäss: Die Schweizer würden, wenn jemand etwas leistet oder kreiert mit Kritik und Nasenrümpfen reagieren. In den Staaten sei es anders: Da würden sich alle über Erfolg und Engagement eines andern mitfreuen, ohne auf Fehler oder Unzulänglichkeiten einzugehen. Schön, nicht?

Liebe Grüsse

Ihre nicht perfekte Iris Minder

Ein Kommentar

  1. Zu Deinem Beispiel: Du hast ja fehlerfrei geschrieben, nur das falsche Manuskript abgeschickt. Und Du hast den Fehler erkannt.Bravo.
    Aus Fehlern wird man klug…..

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