Iris Minder

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E chly zrügg luege (5)

Beim «E chly zrügg luege» drängen auch Lebensgefühle wie Freude, Trauer, Enttäuschungen, Verletzungen und Frustrationen aus der Kindheit ans Tageslicht.

Es gehört nun mal zum Heran- und Aufwachsen, dass man seinen Platz in der Gesellschaft finden muss. Bei einigen geht es einfacher, bei andern ist dieser Prozess schmerzhafter oder dauert länger. Für diesen Teil meiner Erinnerungen möchte ich nun eine kleine Geschichte hervorholen, die ich vor ein paar Jahren verfasst habe.

Ein Bauernhof in der Schweiz. Sagen wir im hintersten Entlebuch. Viele Tiere wie Katzen, Hunde, Schafe, Esel, Schweine, Ziegen, Pferde, Kühe und Hühner leben da. Sie gehören an diesen Ort. Sie sind hier aufgenommen, haben sich an die Gepflogenheiten angepasst und werden verstanden.

Aber da – mitten drin – ein Papagei. Ein Exot in einer für ihn völlig fremden Umgebung, die er nicht versteht und die ihn nicht versteht. Für die Bauernhofgemeinschaft ist er ein Eindringling, über den man nur den Kopf schüttelt. Flattert der doch da eigenmächtig herum, fliegt von einem zu andern, stellt sich mit seinem farbenprächtigen Gefieder in den Vordergrund. Er ist einfach nicht so wie die heimischen Bauernhoftiere. Er gehört hier nicht hin.

Um nicht mehr aufzufallen, übernimmt der Papagei das Geblöke der Schafe, das Wiehern der Pferde, das Bellen des Hundes, das Gackern der Hühner, das Krähen des Hahns, das Meckern der Ziegen, das Grunzen der Schweine, das traurige Schreien der Esel, das Muhen der Kühe. Aber alle diese Bemühungen führen zu nichts. Er gehört nicht richtig dazu, so sehr er sich auch bemüht und sich versucht anzupassen. Er bleibt fremd und er weiss selber nicht, wer er ist.

Die Bauernhoftiere schauen voller Misstrauen auf diesen auffälligen Vogel. Eine Dreistigkeit, wie der so frei, wild und ohne Sinn herumflattert. Der soll lieber Milch geben, den Hof bewachen, Fleisch produzieren, Eier legen, Mäuse fangen, Fleisch liefern, Wolle wachsen lassen oder Lasten und Menschen tragen. Misstrauen, Neid, Unverständnis und Abwehr. Der Papagei ist ausgeschlossen, einsam und sehnt sich nach einer Freundin, die ihn versteht.

Er empfindet sich selbst, so wie er ist mit all seiner Wildheit, Farbigkeit und Unabhängigkeit als Last. Langsam schleicht es sich ein, dass er sich für sich selbst schämt, sich grässlich findet. Seine bunten Federn werden im Laufe der Zeit immer grauer. Traurig hockt er auf dem Apfelbaum, hört auf herumzuflattern, verliert seine Freude und Unbekümmertheit und ist kurz davor aufzugeben.

Da geschieht ein kleines Wunder. Eines Tages fliegt ein Storch aufs Dach des Bauernhauses. Es ist ein altes Tier, das die Welt gesehen hat. Es wundert sich natürlich, den Papagei hier anzutreffen und erzählt den Bauernhoftieren, was sie da für einen besonderen Mitbewohner haben und woher der komme und was er alles könne.

Die Bauernhoftiere hören dem Storch zu und nehmen ihn ernst und beginnen zu verstehen. Der Storch ist schliesslich einer von ihnen und weit gereist. Aha, dieser Papagei ist ein Tier aus einer fremden Welt, ein Tier, das ihnen Anderes und Neues zeigen kann.

Interessant.

Ein paar Hühner geben ihm von ihrem Futter ab. Katze und Hund lassen ihn abwechselnd bei sich schlafen und im Winter, der dem Papagei gar nicht gut tut, darf er bei den Kühen, Pferden und Eseln in der Wärme bleiben.

Und so erfreuen sich viele der Tiere – nicht alle, denn es gibt immer Unempfängliche – täglich mehr an seiner Buntheit, seiner wilden Unabhängigkeit und seinem erfindungsreichen, frechen und manchmal unergründlichen Wesen.

Am liebsten würden die Verständnislosen ihm die Federn stutzen. Aber das lässt der Papagei nun unterstützt durch die anderen Tiere nicht zu. Er sorgt dafür, dass die Bauernhofgemeinschaft neben Wiederkauen, Grasen, Jagen, Hüten und Produzieren etwas ganz Neues, Buntes erleben darf.

Klar, gibt es immer noch Tiere, vor allem Schafe, die lieber dem Herdentrieb folgen und durch den Papagei verwirrt und panisch werden. Sie lassen ihn aber in Ruhe und leben lieber unter ihresgleichen und das ist sicher auch gut so.

Der Papagei aber lebt auf, weil er die Zuwendung bekommt, die ihm das Überleben ermöglicht. Er ist zuhause angekommen.

Eine bunte, unabhängige und spannende Woche wünscht Ihnen
Ihre Iris Minder

7 Kommentare

  1. Liebe Iris, da ist Dir eine wunderbare Geschichte gelungen. Die Buntheit wird halt – gerade in der Schweiz, wo v.a. das Mittelmass kultiviert wird – nicht gern gesehen. Doch der Schluss Deiner Geschichte macht Mut, dass auch Paradiesvögel ihr Plätzchen finden.

    1. Zum grossen Glück gibt es solche Papageien! Zwar haben sie es wirklich nicht leicht, aber irgendwann – wie in dieser mitreissenden Geschichte – oder sagen wir besser “Lebensgeschichte” – kommt es verdienterweise gut! Gratulation rundum!

  2. Sonntags”arbeit”: welche der Tiere hocken in mir und welche Rolle haben sie in meinem Leben? Den Papagei möchte ich noch um etwas bitten: es ist nicht leicht für dich, aber habe ein bisschen Verständnis, dass du halt schon sehr sehr auffällst. Wäre die Katz oder der Hund alleine – sie hätten das gleiche Problem. Es liegt also nicht daran, dass du ein Papagei bist sondern daran, dass du der einzige bist. Aber wir alle können dir in bestimmten Situationen unseres Lebens nachfühlen. Und: ich mag di schaurig guet – und du bisch nötig! Und der letzte Satz gilt auch für dich, Iris, mit einem herzlichen Dank verbunden!

  3. Eine sehr gelungene Geschichte, die mich darüber nachdenken lässt, ob ich zu den Schafen gehöre oder doch eher ein Papagei bin……..

  4. Liebi Iris
    Direkt aus dem Leben. Zum Glück haben wir Papageien wäre sonst ziemlich langweilig wenn alle im gleichen Strom schwimmen. Eine wunderbare Geschichte.
    Liebi Grüessli Uschi

  5. Liebe Iris, eine tolle Geschichte habe in dieser Coronazeit mich mit meinem Leben
    und das vom Papagei auseinander gesetzt. Schaf oder bunter Vogel, schon vor deinem Blog habe ich begonnen mein Leben zu durchleuchten. Schaf oder bunter
    Vogel: Was da herauskam,. habe ich tags und nachts niedergeschrieben. Du wirst
    von diesem Vogel mehr erfahren????? Lieber Gruss, Hermann

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