Iris Minder

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Beim Erinnern beginnt man unweigerlich, auch damals mit heute zu vergleichen. Ich hüte mich eigentlich davor, wie viele alte Menschen zu vermutlich allen Zeiten, zu behaupten, dass früher noch alles besser gewesen sein soll. Ich denke nicht so. Trotzdem gibt es ein paar wenige Tatsachen, die mir zu denken geben, Dinge, die mir heute fehlen oder mich zur Weissglut bringen können.

Ich will zwei Erinnerungen hier ausführen.

Alu, Gesichtsmasken und Co.

Das eine betrifft das heutige Littering. Ich weiss, und dazu sind wir erzogen worden, dass man nichts auf die Strasse werfen darf. Ich erinnere mich genau daran, dass man sehr darauf achtet, nichts liegen zu lassen. Ein Papier, ein Kaugummi (der damals etwas völlig Neues und Spannendes ist) schnell fortgeworfen, muss sofort wieder eingesammelt und richtig entsorgt werden. Wir sind viel gewandert. Dass man da Resten und Papiere von seinem Picknick liegenlässt: So was kommt einem nicht mal in den Sinn. Alles wird wieder eingepackt und dann zuhause entsorgt. Es gibt zu dieser Zeit auch viel weniger mit Plastik verpackte Esswaren. An Alufolie oder Getränke in Alubüchsen kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Dafür an diese Plastiktrinkflaschen mit Pfefferminztee. Zugegeben, dieses Getränk ist nicht unbedingt ein kulinarischer Höhepunkt, hat es doch häufig den Geschmack der Flasche angenommen.

Ich verstehe es nicht

Und wie ist es heute? Nur schon jetzt, in einer Zeit, in der einige Menschen Masken tragen, widert es mich an, und zwar zünftig, dass man auf Spaziergängen, Parkplätzen und sogar in Gewässern dauernd weggeworfene Gesichtsmasken findet. Es macht mich schon lange sauer, wenn Leute ihren Abfall an den Waldeingängen entsorgen, wenn man überall am Strassenrand Alubüchsen, volle Windeln und Essensverpackungen findet. Alles achtlos aus dem Auto geworfen. Da versuchen die Bauern zu sensibilisieren, dass beispielsweise die Kühe elend zu Grunde gehen. Aber das scheint diesen Typen egal zu sein. ICH VERSTEHE ES NICHT. Vielleicht kann es mir jemand erklären. Gleichgültigkeit? Die andern werden es dann schon entsorgen. Egoismus? Hauptsache mir geht es gut. Interessenlosigkeit? Was geht mich die Natur an, die andern Menschen? Ich lebe mein Leben. Die andern ihres. Ich sehe wirklich nicht dahinter, umso mehr, als gerade die Beziehung zu anderen Menschen, der Kontakt während des Lockdowns dermassen als zentral empfunden wurde.

Ich habe kürzlich eine Geschichte von einem Betrieb gehört. Weil die Restaurants wegen Corona geschlossen gewesen sind, hat die Chefin auf ihre Kosten den Mitarbeitenden jeden Morgen ein Frühstück hingestellt. Nicht nur, dass man das als völlig selbstverständlich hinnimmt, nein, man lässt auch alles liegen. Butter wird weich auf dem Tisch, Konfitüre liegt offen herum, Brotbrosmen versauen Tisch und Stühle und das schmutzige Geschirr türmt sich auf. Es kommt keinem einzigen in den Sinn, das immer gleich in Ordnung zu bringen. ICH VERSTEHE ES NICHT.

Kommunikation und Wertschätzung

Diese Interessenlosigkeit, ja Teilnahmslosigkeit zeigt sich ja oft auch in der Kommunikation heute. Man ist unglaublich schnell mit Mails und Handynachrichten jeder Art. Man wird damit bombardiert, liest es schnell und vergisst es wieder. Weshalb also sich melden, für etwas danken, sich freuen. Selbst nicht, wenn man sich innerhalb einer Gruppe befindet. Eine Rückmeldung, eine Reaktion ist doch nicht nötig. Ist mir doch alles egal. Hauptsache, die andern tun was. Und genau das mit der fehlenden Kommunikation, trotz spitzenmässigen technischen Möglichkeiten, ist etwas, das es zu meiner Kinder- und Jugendzeit nicht gegeben hat.

Ich habe fast in der ganzen Welt Brieffreundschaften gepflegt: Eine Brieffreundin lebt in Kalifornien, eine in Japan. Ein Brieffreund in der ehemaligen DDR, der andere in der damaligen Tschechoslowakei und ein dritter in Thailand. Was ist das für eine spannende und wunderbare Zeit. So unendlich viel habe ich erfahren, so viel kostbare Zeit habe ich fürs Schreiben geschenkt bekommen. Ja, die Zeit ist kostbar gewesen, keine Zeitverschwendung, sondern auf eine besondere Art Erfüllung. Ich sehe mich am Tisch sitzen, sorgfältig Briefe schreiben, einige natürlich in Englisch. Ich verziere die Briefe, lege gepresste Blumen hinein und stecke sie in diese am Rande gestreiften Luftpostcouverts. Auf der Post suche ich mir schöne Briefmarken aus. Und dann beginnt das Warten auf den Antwortbrief. Ich renne jeden Tag zum Briefkasten, zweimal, denn der Pösteler kommt in dieser Zeit noch zweimal am Tag. Und dann die riesige Freude und kribbelige Angespanntheit, was der/die Brieffreund/in mir schreibt. Wie ich das vermisse! Heute findet man nur Rechnungen und irgendwelche Werbung im Briefkasten.

Ich schätze die neuen Kommunikationsmittel sehr und benutze sie selbstverständlich auch häufig. Aber ihnen fehlt dieses Persönliche, diese Freude, von andern zu hören, diese Sorgfalt, dem andern mit seiner Nachricht eine Freude zu machen und so ihm auch Wertschätzung entgegen zu bringen. Herzchen und Küsschen sind zwar schön, aber ersetzen auf keine Weise dieses Wunderbare eines Briefes per Post. Diese Zeit, die man sich damit für den andern nimmt. Ja, da werde ich richtig nostalgisch und auch etwas traurig.

Ihre Iris Minder

P.S. Wenn man bewusst zurückschaut, stellt man mit Schrecken fest, wie viele Jahre vergangen sind. Gerade vor zwei Tagen habe ich erfahren, dass Eveline und Xander bereits ihren 50. Hochzeitstag feiern. Unglaublich! 50 Jahre. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Hochzeit damals im Rössli in Zäziwil. Meine allererste Hochzeit bei der ich dabei sein durfte. Und das ist ein halbes Jahrhundert her! Unglaublich.

7 Kommentare

  1. Danke Iris für diesen wichtigen Beitrag. Leider werden ihn nur diejenigen lesen und verstehen, welche gegenüber der Natur, den Tieren, ja, sogar den Menschen, noch Respekt empfinden. Respekt, ein Wort, das scheinbar völlig aus der Mode gekommen ist. Respekt ist für mich eine Form der WERTSCHÄTZUNG, Aufmerksamkeit und auch Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen. Und ja, auch die Natur ist für mich ein Lebewesen, ist beseelt.

  2. Liebe Iris
    Vielen Dank für Deinen „Rückblick“.
    Ich frage mich auch immer wieder, was zu solchen Eskapaden geführt haben könnte.
    Persönlich sehe ich diese Entwicklung auf drei Ebenen:

    1. Individualgesellschaft
    2. Multioptionsgesellschaft
    3. Neid (eine von Dantes Todsünden…)

    1. Wir haben heute einen sehr hohen Lebensstandard, den sich (fast) alle leisten können. Keine oder praktisch keine Versorgungsengpässe, immer alles verfügbar. Ich brauche den Nachbarn nicht mehr. In meiner Zeit in Rumänien habe ich erlebt, wie die Leute aufeinander angewiesen waren, sich gegenseitig geholfen haben, weil eben vieles fehlte. Daraus wächst eine Rücksichtslosigkeit mit den entsprechenden Ergebnissen, Littering etc.

    2. Zu unsern Jugendzeiten gab es beispielsweise im Restaurant Meierhöfli bei Wist Mathis ein A5-Blatt mit 7 Menüs, für jeden Tag eines. Die Auswahl war somit gegeben, was den Leuten Sicherheit verlieh. Heute haben wir einen ganzen Katalog von Möglichkeiten und Zusammenstellungen von Menüs und diese können sogar noch individuell geändert werden. Dies vermittelt eine gewisse Unsicherheit, habe ich richtig gewählt…. Rahmenbedingungen existieren kaum noch, grenzenloser Konsum ist angesagt. Persönlichkeiten, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, werden immer seltener. Absicherung heisst das Motto.
    Klassischer Alltag, wie ich es immer wieder erlebe: Solltest Du nicht das so und so machen, oder wäre es nicht besser, wenn….? Trifft es ein, dann kommt prompt die Antwort, ich habe es ja immer gesagt, wenn nicht, dann heisst es, ich habe ja nur gefragt… In diesen ganzen Reigen gesellen sich dann neben der Unsicherheit noch Angstgefühle, die von den einschlägigen Medien noch entsprechend geschürt werden.

    3. Zu Neid muss ich nicht viel schreiben….

  3. Abfall! Wir sind 1996 in ein 6-Familienhaus eingezogen (Neubau) und haben uns gewundert, warum beim Hauseingang ein “öffentlicher” Aschenbecher angebracht wurde. Auf unsere Nachfrage haben wir folgende Antwort erhalten: “Raucher*innen würden vor Betreten des Hauses die Zigaretten(stummeln) einfach auf den Boden schmeissen – das machen ja die Kaugummi-Kauer*innen auch – und so haben wir wenigstens keine Stummeln vor der Haustüre!” – Wir waren sprachlos! …und ich denke heute bei jedem Kaugummi und bei jedem am Boden liegenden Zigi-Filter daran – unverständliche Selbstverständlichkeit!

  4. Liebe Iris
    Du sprichst mir aus dem Herzen. Littering! Das kann ich einfach auch nicht verstehen.
    Zum Beispiel: bei einer Autobahn Auffahrt, wer schmeisst das Zeugs aus dem fahrenden
    Auto? Das sind doch nicht nur die Jugendlichen!!! Es fehlt ihnen an Verstand!
    Egoismus und Gleichgültigkeit, was kann man dagegen tun? Mahnen, darüber sprechen,
    es nicht akzeptieren. Es ist oft leichter gesagt als getan.

    Liebe Grüsse Margrit

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