Iris Minder

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E chly zrüggluege (25)

Guten Tag

Ich ärgere mich über so viele in den 60er und 70er Jahren verpasste Gelegenheiten an Freiheiten, Feiern, politischem Engagement. Das waren doch genau die Jahre, in denen sich gerade die jungen Menschen von einem gesellschaftlichen Korsett befreien konnten.

 

Musik

In meinem Elternhaus hörte man in erster Linie klassische Musik. Konzerte von Bach bis Mozart, Opern von Mozart bis Verdi. Operetten galten als Unterhaltungsmusik und wurden besonders von meinem Vater geschätzt. Von dieser musikalischen Prägung ist bei mir vor allem die grosse Liebe zur Oper bis heute geblieben, wofür ich äusserst dankbar bin. Verdi mit Traviata, Rigoletto und der Troubadour. Wir hatten Schallplatten und gerade von einigen Arien des Troubadour konnte ich nicht genug bekommen. Immer und immer wieder stellte ich die Nadel in die gleiche Rille und hörte vor allem die Arien vom Troubadour und der Azucena oder das Terzett im Gefängnis kurz vor der Hinrichtung. Da konnte ich in diesen melancholischen und sehnsuchtsvollen Melodien schwelgen und aufgehen. Aber andere Musik wurde nicht gehört und galt eher als weniger wert. Mein Vater bezeichnete sie als “organisierten Lärm”.

Meine Eltern leiteten ein Studentenheim. Ich erinnere mich, dass mein Vater einmal einen Ausflug organisierte. Er wollte den beiden Hausangestellten aus Dänemark etwas von der Umgebung zeigen. Ich durfte mitfahren. In einem Restaurant war eine Musikbox und eine der Däninnen wählte Beatles-Songs. Das war mir völlig unbekannt, aber ich war ich so etwas von hin und weg. Was für fröhliche, fetzige Musik, das damals für mich war. Ein richtig befreiendes Gefühl. Nebenbei sei angemerkt: Die beiden Däninnen trugen extreme Miniröcke, lebten auch die damalige sexuelle Befreiung aus. Das alles war für das konservative Luzern und so auch für meine Eltern eher etwas befremdlich. Auf jeden Fall wurde den beiden wegen irgendeines – mir nicht bekannten – Vorkommnisses gekündigt. Däninnen und Schwedinnen waren damals viel freizügiger als Frauen in der Schweiz und regten die Fantasien vieler Männer an.

Aber zurück zur Musik. Meine Prägung auf die klassische – wie man damals auch sagte, ernste Musik – war heftig. Die Freude an all den damals neben und nach den Beatles aufkommenden Grössen wie Rolling Stones, Pink Floyd, Beach Boys, Led Zeppelin usw. usw. kamen mir verdächtig vor. Diese langen Haare, dieses unangebrachte Benehmen, die Drogen, der Lärm, der Musik sein sollte. Das alles hat mich abgeschreckt. Auch Woodstock war für mich nur eine Veranstaltung von etwas Bedrohlichem durch mit Drogen vollgestopften, kranken Typen. Wenn ich das jetzt schreibe, muss ich einerseits schmunzeln andererseits beschämt es mich auch ein wenig. Aber, ändern kann ich es nicht mehr. Es ist aus heutiger Sicht nur sehr traurig, dass ich diese Zeit nicht, wie viele andere, ausgelassen und befreiend erleben durfte. Eine solche Zeit mit dieser Befreiung aus dem Korsett der Konventionen gab es nie mehr. Das war ein Jahrhundertaufbruch, und ich hätte die Gelegenheit gehabt, hautnah dabei zu sein.  Und habe es verpasst. Als ich mit 21 Jahren mein eigenes Leben in Bern begann, hatte ich die Gelegenheit, beispielsweise ein Konzert von Polo Hofer mit seiner Band Rumpelstilz vor der Reithalle mitzuerleben. Es war toll und ich weiss noch, wie ich beim «Kiosk» mit allen mitgesungen hatte. Aber das war’s auch schon. Ich fühlte mich unwohl unter all den «verjästen» Typen, wie man damals sagte und konnte mich nicht der Stimmung hingeben. Genauso war es beim Konzert von Bony M. im Wankdorf.

Was habe ich da alles verpasst! Zuhause hörte ich dann allerdings Platten oder die kleinen Kassetten von Elvis, Jerry Lee Lewis, Leonard Cohen, Janis Joplin, Joan Baez, Ravi Shankar, Neil Diamond oder Johnny Cash. Mit diesen Musikern hatte ich mich dann doch langsam etwas von der klassischen Prägung entfernt.

Wie gesagt, heute bedauere ich es, dass ich damals so gehemmt und verklemmt und voller Vorurteile war und mir somit manches an Freude und ausgelassen sein entging. Es wäre schön, wenn man sich für eine kurze Zeit zurückbeamen könnte, um jetzt doch so richtig befreit und offen abrocken zu können. Ausgelassen tanzen, sich vergessen … aber nicht mit den heutigen, alten Gelenken und Knochen!

 

Politik

Ach herrje, da möchte ich lieber nicht zu viel sagen. Wie dumm und eingeengt ich doch war. Da hätte ich mich fürs Frauenstimmrecht engagieren können, wie es beispielsweise meine Gymikollegin Margrit getan hat. Aber nein, mir kam das alles verdächtig vor. Wie ich einmal in einer Diskussion unter verschiedenen Gästen zuhause gehört hatte, dass die Frau zuhause mehr Einfluss im Stillen hätte als mit diesem Stimmrecht, übernahm ich echt diese Meinung. So etwas zu formulieren, fällt mir unheimlich schwer. Grauenhaft, einfach nur grauenhaft. Wie wunderbar es doch – aus meiner heutigen Sicht – gewesen wäre, mich dafür einzusetzen. Oder wie ein Theaterkollege damals Demonstrationen organisierte und in einer Rockband spielte. So schade, all das gemieden zu haben! Aber wie bei vielem in meinem Leben, brauchte auch das eine gewisse Zeit, damit ich mich entwickeln und befreien konnte. Ich musste mir zuerst meiner eigenen Bedürfnisse und Ziele bewusst werden. Und jetzt bin ich angekommen und bin rundum zufrieden mit meinem vielfältigen Leben … auch, wenn ich die verpassten Ausgelassenheiten und Befreiungen in jungen Jahren bedauere.

Aber doch … so ein zünftiges Ausbrechen und Abfeiern wie in den 60er und 70er Jahren … wäre ein Träumchen. Und träumen darf man ja schliesslich.

In diesem Sinn eine befreite, fröhliche Zeit

Iris Minder

 

4 Kommentare

  1. Wie recht du hast, liebe Iris. Du hast haargenau auch meine Zeit und mein Verhalten damals beschrieben. Wie schade, dass ich “es” nicht gewagt habe, und in den gewohnten Bahnen geblieben bin. Aber das Leben ist manchmal gnädig: Heute tanze ich nach der Musik, die mir ja eigentlich fremd ist, lustig und ausgelassen mit meinen vier kleinen Enkelkindern, und wir lachen, was das Zeug hält. Immer gemäss dem Zustand meiner 75 j. Knochen! Aber das ist den Enkelinnen egal. Sie finden es super!
    Danke dir!

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