Foto: Gänggiproduktion «Läbchueche» zum Thema Einsamkeit
Also, ich rede jetzt nicht vom Alltag … da kann ich wirklich schon mal sehr theatralisch emotional auftreten und reagieren. Ich rede von der Bühne, von der Theaterkunst. Warum mache ich das? Was drängt mich dazu, immer wieder Neues umzusetzen, den ganzen riesigen Aufwand an Arbeit, Energie und Ängsten auf mich zu nehmen?
Vielleicht zuerst ein paar Gedanken zum Letzteren, dem Aufwand. Der ist immens, wirklich. Gerade im Gänggi, in meinem Bonsaitheater, bin ich schlussendlich für alles selber zuständig: Bistroeinkauf, Abendkasse, Reservationen, WC putzen, staubsaugen, stuhlen, Licht, Ton, Bistro bedienen, aufräumen, Geschirr spülen, Vorverkauf, Billette usw. Dazu kommt die ganze Werbung, PR, Medienmitteilungen schreiben, Newsletters und wieder werben, werben, werben … Schliesslich ist Theater ohne Publikum kein Theater. Es braucht in erster Linie die Interaktion, den Ansprechpartner, dem wir unsere Welt und was darin vorkommt, zeigen können. Die Hoffnung auf viele Zuschauer ermöglicht es mir (neben der Unterstützung durch öffentliche Hand, Mäzene) aber auch in zweiter Linie etwas zu verdienen. Stunden! Tage! Wochen! Monate! Die Theaterkunst ist schliesslich mein Beruf. Ah ja, genau, das hätte ich vor lauter Aufzählen all der Nebenarbeiten fast vergessen. Es ist mein Beruf Stücke zu schreiben, Teams zusammenzustellen, Probenplan zu machen und zu inszenieren. Dann Bühnenbild, Requisiten, Kostüme zu kreieren und zusammenzusuchen. Wie gesagt, meine eigentliche Arbeit. Aber ich liebe dieses Rundumengagement, dieses generelle Produzieren.
Warum bin ich Autorin und Regisseurin?
Ich muss zugeben, diese Frage stelle ich mir jetzt gerade in diesem Blog zum ersten Mal und es fällt mir nicht leicht, Antworten darauf zu finden. Am besten schreibe ich mal frisch von der Leber weg. Eines ist sicher: Ich bin von ganzem Herzen mit allem, was mich ausmacht, Regisseurin und Autorin. Banal gesagt, ich BIN das, weil meine Eignungen und Neigungen übereinstimmend zu diesem Beruf geführt haben. Ich könnte auch sagen, dass ich gar nicht anders kann. Das bin ich, das entspricht mir. Es scheint so, dass mir Kreativität in die Wiege gelegt wurde, ein grossartiges Geschenk. Allerdings dauerte es Jahre bis ich das wirklich zu leben begann, was mir sozusagen «bestimmt» war. Viele Irrwege und Sackgassen mussten bis dahin überwunden werden. Sozusagen ein jahrzehntelanger Reifeprozess. Welten, menschliche Beziehungen, emotionale Interaktionen entstehen und werden zu lassen ist etwas vom Schönsten und Umfassendsten, was ich mir überhaupt vorstellen kann. Welten erschaffen! Welten mit allem, was es gibt, wie es sein könnte, wie man sie sich vorstellen könnte. Spannend ist es, auch immer wieder neue stilistische Elemente auszuprobieren und Musik und Bewegung einzusetzen. Und dann wurde mir ja noch ein weiteres Geschenk in die Wiege gelegt: Das Schreiben.
Der Philosoph Manfred Hinrich hat mal gesagt: «Bühne: Bretter, die die innere Welt verändern.» Ich finde diese Aussage äusserst stimmig, sowohl für die einzelnen Spieler, das Publikum und für mich selber. Gerade während meiner Ausbildung zur Theatertherapeutin habe ich erfahren, wie intensiv die Wirkung des Spiels sein kann. Wie sehr es auch etwas verändern kann. Ich habe mit meinen Inszenierungen und meinen Stücken beileibe nicht den Anspruch, die Welt verändern zu wollen oder vorzuschreiben, was gut und was falsch ist. Aber ich möchte dem Bereich Amateurtheater gerade auch mit meinen Gänggi-Produktionen stilistisch und inhaltlich tiefere Seiten, andere Facetten geben. Das bedeutet gegen den Mainstream von Komödien und reinem Amüsement zu schwimmen. So sind meine Werke für die einen zu intellektuell, für andere – weil Amateurtheater – zu wenig intellektuell, für weitere zu wenig lustig, für andere nicht wertvoll genug. Ich habe aber meine Linie und kann sie vor mir selber auch vertreten und dazu stehe ich auch. Theater ist eine flüchtige Kunst. Bilder, Filme, Skulpturen, Musikaufnahmen kann man sich immer und immer wieder anschauen, teilen, kopieren, weiterleiten, überall hinstellen, überall hinhängen. Sie bleiben dabei unveränderlich. Theater aber lebt von der Einzigartigkeit und Unmittelbarkeit des Moments und da muss man berühren, mit allen Sinnen Erlebnisse schaffen können. Es heisst ja immer wieder man solle jetzt, in diesem Moment leben. Theater kann das bieten.
«Bühne: Bretter, die die innere Welt verändern.» Ganz besonders beeindruckt mich, was meine theater, JAWOHL-Produktionen und zwar mit Stücken, in denen Erinnerungen aus dem eigenen Leben inszeniert werden, auslösen können. Nicht nur bewegt es die Zuschauer, meist ja auch Senioren, sondern verändert auch vieles bei den Spielenden selber. Ich erinnere mich noch sehr gut an die erste Produktion «Ein Koffer voller Erinnerungen», Kinder der 30er und 40er Jahre, wofür ich an den Aargauer Theatertagen den 3. Preis erhielt. Das Kompliment der Fachjury hat mir gezeigt, dass meine Philosophie hinter meiner Arbeit gesehen wird:
«Man sei bereits nach wenigen Sekunden mittendrin im Stück. Die erzählten und inszenierten Erinnerungen seien berührend, eindrücklich und tiefgehend. Die Vorstellung sei nie abgeflacht, die Senioren seien bis zuletzt ungeheuer präsent gewesen und – obwohl schon mehrfach gespielt – hätte man den Eindruck bekommen, wie wenn sie die Geschichten der andern zum ersten Mal hören würden. Das vor allem ältere Publikum sei tief berührt und gespannt still gewesen. Das sei ein Zeichen für wirkliches Theater besonders, wenn – wie bei der Seniorenbühne Grenchen – Eindrücke noch lange nachhallen. Die Juroren waren sich einig: Chapeau für die Spielenden und die hervorragende Regiearbeit.»
Wachsen lassen
Beim Inszenieren selber ist es mir immer wichtig, die Spielerinnen und Spieler als Partner zu sehen. Und das finde ich unheimlich spannend und schön, dieses gemeinsame Suchen auf dem Weg zur Uraufführung, diese kreative Zusammenarbeit, auch wenn ich ab und zu meine Vorstellungen dann doch durchsetzen möchte. Eine Inszenierung muss wachsen. Und wenn sich dazu weitere Dienste – beispielsweise bei den Freilichtspielen Grenchen – wie Bühnenbild, Licht, Ton und Kostüm einbringen, kann die Inszenierung zu einem homogenen Werk werden. Ein Werk, das aus der Kreativität von vielen Beteiligten gewachsen ist und so eine künstlerische, aber auch authentische Form annimmt. Und dies alles ist auch im Amateurbereich möglich und stellt eine grosse Bereicherung dar. Es ist einfach grossartig für mich von den verschiedenen Spielerpersönlichkeiten gefordert zu sein, mitzuerleben wie sich die Figuren durch die intensive Arbeit entwickeln, zu sehen wie sich mein Regiekonzept weiterentwickelt, wächst und gewinnt, wie sich andere, neue Wege auftun, als ich ursprünglich geplant habe. Einfach im wahrsten Sinne des Wortes: wundervoll.
Das sind alles die Gründe, warum ich Theater mache … diese … und vermutlich noch viele mehr!
Ich bin privilegiert. Mehr kann ich dazu nicht mehr sagen.
Eine frohe und friedliche Advents- und Weihnachtszeit!
Ihre Iris Minder
P.S. Hier geht’s zu den “Vater und Sohn” » Stimmen
5 Kommentare
Liebe Iris. Eindrücklich, sehr sehr gut! Bravos!
Herzlich Thomi
Halo Iris , Genial ,aber bring mir mol ä Verhüroteti Frau wo kei Theater macht ! dasch sälta sältä, sältä……………………………………………………………………………. !!!
Liebe Iris, wir sind sehr nachdenklich nach der Premiere Vater und Sohn nach Hause gefahren. Die vielen verschiedenen Impressionen hinterlassen einen tiefen Eindruck; fantastisch, dass du dieses wundervolle Stück geschrieben hat. Immer weiter so, wir freuen uns bereits auf nächstes Jahr, wenn wir „Neues“ von dir geniessen dürfen … du hast wirklich deine Berufung gefunden …
Liebe Iris
Vater und Sohn ist ein ganz spezielles Stück, in dem drei Geschichten ineinander verwoben sind!! So gut geschrieben und inszeniert! Lustig – ernst- humorvoll – nachdenklich stimmend – traurig und spannend!
Trotz vvviiiieeeeellll Regen haben wir dem Heimweg eifrig diskutierend gut bewältigt.
Glückwunsch!
Doris
Hoi Iris…..
ich diesenBlog leider erst jetzt entdeckt
Du sprichst mir in vielen Punkten aus dem Herzen und ich sehe viele Berührungspunkte zu unser Beiden Berufen.
Herzlich Franziska