Iris Minder

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Bremer Stadtmusikanten und die Erkenntnisse daraus

Letztes Wochenende war es nach einem halben Jahr so weit: Das Kindertheater BLITZ konnte zweimal die Bremer Stadtmusikanten vorführen. Toll war es. So viele begeisterte Zuschauer, so viel Spielfreude der Blitz-Kinder! Aber darüber möchte ich nicht schreiben.

Die Bremer Stadtmusikanten habe ich nun schon zum dritten Mal mit Kindern aufgeführt. Vor Jahren auch mit BLITZ und kurz darauf mit LOKI (Kindertheater Lommiswil). Aber diesmal war es für mich ganz anders. Und es hat mit dem Alter zu tun.

War ich damals sozusagen die Mutter, die das Kindertheater leitete und pflegte und so auch langfristig Verantwortung hatte, fühlte ich mich diesmal eher als Grossmutter, die eine unbändige Freude hat mit den Enkeln was zu unternehmen, aber dann wieder abgeben kann. Und erst bei diesem Gedanken, wurde mir wirklich bewusst, dass das Thema der Bremer Stadtmusikanten einiges mit mir zu tun hat. Umso mehr als eine Freundin im gleichen Alter, meinte, dass sie riesig Freude an meinem Stück gehabt hätte, aber plötzlich mit Schrecken hat feststellen müssen, dass sie ja alt sei.

Auch in DIE INSEL thematisiert

Das Thema dieses Märchens war mir ja immer bewusst: Alte werden nicht mehr gebraucht, belasten die Gesellschaft und werden ausgegliedert. Das thematisierte ich bereits mal mit dem theater, JAWOHL (ehem. Seniorenbühne) mit dem Stück DIE INSEL. Wie die vier Tiere der Bremer Stadtmusikanten wurden diese alten Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen, weil sie dieser zu viele Kosten verursachten. Man setzte sie mit einer Militärwolldecke und drei persönlichen Gegenständen auf einer Insel aus. Beide, Tiere und Menschen, haben das Schicksal angenommen und kreative Lösungen gesucht. Die Tiere wollen berühmte Musiker werden. Bleiben aber dann doch im Wald, wo sie ebenfalls durch Kreativität zu einem Heim gekommen sind. «Jetzt habe ich wieder ein Zuhause. Das Herumziehen bringt mich ganz durcheinander», meint Güggu Hans. Im Wald bleiben bedeutet für mich auch mit seinen Erinnerungen leben, sie auskosten und aus diesem grossen Lebensfundus sich seelisch zu nähren. Auch die Senioren auf der Insel richten sich kreativ ein. Jedes übernimmt die Arbeiten, die ihm noch Freude machen, die es noch kann. Das Gefühl einer neuen Freiheit beglückt sie und man darf sogar übermütig werden, tanzen und singen. Erinnerungen kommen hoch, werden ausgetauscht und – wenn möglich – ad acta gelegt. Man bekommt nicht nur die Möglichkeit äusserlich zu entrümpeln, sondern auch innerlich. Was die Menschen auf der Insel konnten, war, sich mit Krankheit und Tod auseinanderzusetzen. Gemeinsam darüber zu reden verschafft Ruhe, Urvertrauen, Aufgehobensein, Annehmen.

Brutal und doch eine Chance

Unbestritten, es ist brutal als alt und unnütz bezeichnet und entsprechend behandelt zu werden. Das zeigt uns das Märchen der Bremer Stadtmusikanten unverblümt. Ich hatte es auch mit DIE INSEL klar verdeutlicht. Aber es steckt doch so viel Grosses und Positives im Rentenalter drin. Es ist so viel Potential da, in einem selber, das ohne Druck gelebt und bearbeitet werden kann. Gerade bei uns in der Schweiz, wo wir rundum abgesichert sind, scheint mir alt zu sein und halt nicht mehr im ganzen gesellschaftlichen Werkprozess integriert zu sein, ein Segen. Ich denke, man muss es nur akzeptieren, annehmen, die Chance nutzen und nicht dem nachtrauern oder nachrennen, was halt nicht mehr ist. Möglichkeiten gebraucht zu werden, für jemanden da zu sein gibt es auch im Alter. Diese Wende zum kreativen Umgang mit sich, seiner Geschichte, seinem Leben ist doch eine grossartige Chance. Ich will nichts beschönigen. Mir ist klar, dass mit dem Alter auch die Gebresten kommen. Ich selber kann ein Lied davon singen. Trotzdem: ich habe das alles akzeptiert und freue mich darüber alt zu sein und noch da zu sein, kreieren zu können. Es ist so schön zu dürfen und nicht zu müssen. Auf keinen Fall möchte ich nochmals 20 sein.

Die Bremer Stadtmusikanten scheinen ein recht brutales Märchen zu sein. Für mich nicht. Es ist eine hoffnungsvolle Fabel. Die Tiere akzeptieren das Alter (die Menschen, die Gesellschaft, die sie ausschliessen, sind gar nicht mehr wichtig). Sie beginnen ihr eigenes Leben nach ihren Möglichkeiten zu leben.

Güggu Hans: «Aber ihr müsst etwas Geduld mit mir haben. Ich vergesse gerne etwas.»

Eselin Abigail: «Das macht doch nichts, Hans. Die Katze Amélie hört nicht mehr so gut. Der Hund Paco hört und sieht nicht mehr so gut und ich kann mich nicht mehr so gut bewegen. Dann helfen wir uns halt.»

In diesem Sinne: Iaaa!!! Wau-wau!!! Miauuu!!! Kikeriki!!!

Ihre Iris Minder

 

Als Einstieg zum Märchenspiel haben sich die BLITZ-Kinder zum Thema alt und jung geäussert. Hier ein paar ihrer Gedanken:

  • Jung ist man fitter. Dafür kann man im Alter mehr ausruhen.
  • Im Alter hat man mehr Erfahrung.
  • Ich will im Alter immer noch witzig sein und mich wie ein junger Mann benehmen.
  • Alt ist man, wenn man sich alt fühlt.
  • Man ist im Alter gutmütiger und hat keine Verpflichtungen mehr.
  • Gut im Alter ist, dass man ein schönes Leben gehabt hat.
  • Wenn ich alt bin, will ich das Leben geniessen und ein fröhlicher alter Mensch sein.
  • Im Alter kann ich Opa werden und mich an meinen Enkeln erfreuen.

 

Zeichnung von Robin und Tobias Staufer

5 Kommentare

  1. Liebes Iris,
    Du sprichst mir aus dem Herzen.Die Bremer Stadtmusikanten sind mir immer präsent in meiner Stube,Aus Holz geschnitzt.Sie begleiten mich schon viele Jahre,und jetzt bin ich 80 !!!
    Herzlichst Erika

  2. Liebe Iris,
    Das hast du wieder einmal schön und wahr gesagt. Mir gefällt auch, wie du das Ambivalente, das dem Altern anhaftet, nicht unter den Tisch kehrst. Es ist eine Realität, die man sich nur entweder zur Freundin oder Feindin machen kann. Beides ist schwierig. Freundschaft ist für mich das Zauberwort. Im Alter bekommt sie eine neue Qualität.
    Danke Iris!

  3. Liebe Iris, ja das Alter und das altern, so gut und so schön haben es die Blitz Kinder kommentiert.
    Auch im Alter das Leben geniessen und positiv denken, auch wenns manchmal nicht so leicht fällt.
    Der schrullige Egon, und all die schrulligen Freunde um mich sind zur Zeit Balsam für mich und
    helfen mir, weiter das Alter und alles Schöne daran zu geniessen, dafür bin ich dankbar.
    Ganz herzlich, Hermann

  4. ich gehöre sprichwörtlich auch zum alten Eisen; dies gilt jedoch nur für meine ächzenden Arthroseknochen; innerlich fühle ich mich wie ein übermütiger Teenager, der zum Pferdestehlen bereit wäre, eben wäre, wenn da nicht die klappernde Hülle streiken würde … ich habe jedoch eines gelernt: ich sauge jeden Tag bewusst in mir auf und geniesse, geniesse, geniesse, und was ich als Teenager nicht kannte … entschleunigen …

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