Iris Minder

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Wir sind ja jetzt in einer Zeit, wo wir dauernd über Gesundheit, Krankheit und Sinn und Unsinn von Massnahmen bombardiert werden. Darüber mag ich jedoch nicht schreiben. Ich schaue lieber etwas zurück in meine Kindheit. Wie ist es eigentlich damals gewesen, wenn man krank war?

An etwas erinnere ich mich sehr deutlich: Niemand darf wieder in die Schule gehen, wenn man nicht fieberfrei ist. Und zwar mindestens einen Tag lang. Wenn ich mir vorstelle, wie es heute (vor Corona) ist. Fast jeder geht noch auf allen Vieren mühsam zur Arbeit. Wer zu lange zuhause bleibt, wird schräg angeschaut.

Meine Mutter hat uns immer wieder mit Hausmittelchen gepflegt: Bei Bronchitis mit heissen Ölwickeln auf der Brust, Vicks einreiben, Essigsocken bei Fieber, essigsaure Tonerde bei Verstauchungen, Kamillentee für den Magen, mit Kamillentee oder Kamillosan getränkte Wattebäuschel auf entzündete Augen. Bei Magenproblemen gibt es diese nicht besonders bekömmliche Schleimsuppe. Nur schon der Name! Ich habe alle Kinderkrankheiten von Röteln, Masern über Spitzenblasen bis hin zu Mumpfs durchgemacht. Zum Glück ohne negative Folgen! Die Spitzenblasen habe ich übrigens gerade dann durchgemacht, als ich bei meiner Grossmutter gewesen bin. Ich erinnere mich noch sehr genau, dass ich unter einer grossen tickenden Uhr liege, dass es mich höllisch juckt und meine Grossmutter mich immer wieder pudert.

Und dann die Geschichte mit dem Quecksilber! Die Fiebermesser sind mit Quecksilber versehen. Einmal zerbricht er und das Quecksilber fällt in lauter kleinen Kügelchen auf das Parkett. Meine Mutter warnt mich noch, ja nichts zu berühren, das sei sehr gefährlich. Das stachelt mich natürlich an. Faszinierend, wie sich die kleinen Kügelchen bewegen und dann immer kleiner werden. Vor ein paar Jahren hat ein Arzt festgestellt, dass ich viel zu viel Quecksilber im Körper habe. Wer nicht hören will, muss fühlen … heisst es!

Warzen sind auch so ein Thema. Ich habe mal ein paar Warzen an den Händen und meine Mutter geht mit mir zum Arzt. Eine dunkle, unheimliche Praxis in einem alten Haus, vis-a-vis der Marienkirche. Es ist mir da nie wohl, eher unheimlich. Der Arzt ist übrigens der Sohn unserer Vermieterin. Er verordnet folgendes Mittel: Warme Kartoffeln, zerquetschen und über Nacht unter Plastik auf meinen Händen liegen lassen. Die Warzen würden so austrocknen. Was für ein Graus! Und genützt hat es nichts!

Etwas Anderes kommt mir gerade noch in den Sinn, wenn ich an dieses Thema denke. Ich bin ein eher dickes Kind und man macht sich deswegen Sorgen. Deshalb werde ich als Sechsjährige für vier Wochen ins Kinderspital in Zürich eingewiesen. Ich habe das Gefühl, dass sich dieses Erlebnis doch ein wenig traumatisierend auswirkt. Auf der einen Seite das unendliche Heimweh. Auf der anderen Seite, immer das Gefühl, dass ich nicht richtig bin. Das hat sich noch dadurch verstärkt, dass man mich in diesem grossen Schlafraum ausgerechnet neben ein älteres Mädchen mit Magersucht legt. Ich sehe noch ihre hervorstehenden Kniescheiben vor mir. Sie macht mich dauernd runter mit Aussagen wie, ich sei hässlich, fett, unbeherrscht und was sonst auch immer. Es kommt dazu, dass ich dauernd Hunger habe. Gegen Endes meines Aufenthaltes bekomme ich zu allen Elend noch Röteln und ich musste in Isolation. Grauenhaft als sechsjähriges, lebendiges Mädchen. Ich habe das Gefühl, dass sich hier bei mir der Eindruck eingeprägt hat, dass ich unansehnlich und nicht liebenswürdig sei.  Das alles hat sich dann noch in der Schule verstärkt – denn der ganze Aufenthalt in Zürich hat nicht viel bewirkt. Schimpfwörter wie Fettlawine, Walross, dicke Sau und ähnlichen gehören zum Alltag. Heute weiss ich durch entsprechende, ärztliche Untersuchungen, dass mein Körper Kohlenhydrate sehr schlecht verbrennen kann und so Depots anlegt. Ah, nach dem Spitalaufenthalt muss ich Diät halten zuhause. Zum Trinken gibt es nur Magermilch. Dabei ist zu bedenken, dass sie vom Milchmann kommt und nicht pasteurisiert ist. Es bedeutet, dass das die sehr schnell schlecht und sauer wird. Widerlich!

Ich erinnere mich an ein anderes Unglück. Ich bin noch sehr klein, vielleicht drei Jahre alt (auf der Foto bin ich ca. 2 1/2 Jahre alt). Ich liege mit Bronchitis im Bett und daneben auf Kopfhöhe steht ein Wasserkocher, damit der Dampf die Luft befeuchtet. Mein Bruder liegt im Stubenwagen und schreit und schreit. Ich mache mir Sorgen und will meine Mutter, die gerade in der Waschküche ist, zu Hilfe holen. Ich steige rückwärts aus dem Bett und mit dem rechten Fuss direkt ins kochende Wasser, falle rückwärts auf den Boden und das Wasser ergiesst sich über meine ganze rechte Seite. Man muss mir die gestrickten Wollstrumpfhosen vom Bein trennen und dann werde ich jeden Tag – unter Qualen – dick in Brandsalben eingeschmiert. Ich glaube, heute behandelt man das ohne diese fettigen Salben. Zum Glück bleiben keine Narben – ausser Verfärbungen am rechten Fuss – zurück.

Jetzt wünsche ich Ihnen Gesundheit!

Ihre Iris Minder

 

P.S.: Ich möchte nun doch noch etwas zu heute schreiben. Das Tragen von Masken geht nicht ganz spurlos an mir vorüber. Ich merke, wie sehr ich auf das Lesen der Mimik meines Gegenübers angewiesen bin. Zusammenhang zu meinem Beruf als Regisseurin? Jetzt fällt die Mimik weg. Die Begegnung wird irgendwie beziehungslos, unrealistisch. Das verunsichert mich ungemein und holt meine alten Zweifel und negativen Einstellungen an mir selber hoch: Verurteilt mich der andere gerade? Missbilligt er gerade etwas von mir? Was mache ich gerade falsch? Unglaublich, wie solche «Prägungen» nicht wegzubekommen sind, obwohl einen das Leben eines andern belehrt!

3 Kommentare

  1. Was steht ein Kind alles durch! Du sagtest einmal, du hättest Mitleid nicht gerne. Erlaube mir, dass ich es mit der kleinen Iris doch habe, du musstest so viel durchmachen! Da waren meine Fieberkrämpfe nichts dagegen. Ich war nämlich gerne krank. Das Bäbele im warmen Bett, alle Geschwister in der Schule, die kühle Hand von Mutter auf der Stirn – es war schön. Aber ich hatte milde Krankheiten! Jetzt kommt dann grad mein Sohn, werde ihn fragen, wie seine Erinnerungen sind. Danke dir für deine Anregungen!

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