Iris Minder

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Meiner Mutter verdanke ich meine Liebe zum Lesen und schlussendlich auch zum Schreiben.

Etwas vom Schönsten, woran ich mich erinnere ist, dass wir nie ohne eine Gutenachtgeschichte einschlafen müssen. Und das ist für mich bis heute so geblieben: Ich schlafe nie ein, bevor ich nicht noch etwas gelesen habe und wenn es nur eine Seite ist.

Gespannt liegen mein Bruder und ich und später meine Schwester (8 Jahre jünger) im Bett und warten auf die Fortsetzung der Geschichte vom Vorabend. Das motiviert uns auch, dass wir nicht allzu lange trödeln, um endlich bettfertig zu sein. So erzählt unsere Mutter, spontan in Dialekt übersetzend, alle alten Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts beliebten Kinderbücher von Heidi, Christeli und Vreneli über Grittlis Kinder bis zu den Kummerbuben, Grimms Märchen und Mio, mein Mio.

Unsere Mutter hört immer im spannendsten Moment auf, was natürlich hart ist.  Bevor ich endlich einschlafe, male ich mir aus, wie es weiter gehen könnte. Und ich realisiere, dass es neben der aktuellen noch viele andere Welten gibt, in die ich beliebig eintauchen kann. Was für ein wertvolles Geschenk!

Weil Muetti immer im spannendsten Moment aufhört: Hole ich – sobald ich einigermassen lesen kann – heimlich das Buch und lese begierig weiter. Diese Gutenachtgeschichten haben dazu geführt, dass ich eine zünftige Leseratte geworden bin und Bücher verschlinge. Mich auf mein Bett zurückzuziehen und in ein Buch zu vertiefen, ist für mich das Grösste. Ich lebe in diesen Welten und kann mich jeweils nur sehr schwer davon trennen. Es gibt nichts Schöneres als sich die beschriebenen Orte, die Personen vorzustellen und in ihre Welt einzutauchen. Ich habe bereits zwischen 11 und 14 Jahren viele Klassiker gelesen von Tolstoi (Anna Karenina, Krieg und Frieden) Doktor Schiwago von Pasternak, Hesse, Fontane, Shakespeare, Schiller, Dumas, Heine, Dostojewski, Hemingway, Mann, Böll, Anne Frank usw. usw. Also einfach die Bibliothek meiner Eltern sozusagen «leer» gelesen. Und dann in der Pubertät kommt natürlich Karl May! Ich glaube, ich habe fast alle 50 Bände verschlungen.

Ebenfalls so in der Pubertät scheinen sich meine Eltern zu sorgen. Ich bin nach wie vor wild und spiele lieber mit den Jungs als mit Mädchen und fürs «Bäbele» kann ich mich nie erwärmen. So schenken mir meine Eltern eine entsprechende Buchserie, die Gulla-Bücher. Gulla ist ein Mädchen und es handelt sich bei diesen Geschichten um eine Art Entwicklungsroman. In jedem Band ein anderes Alter. Der eine Band heisst: Gulla, Jahre der Anmut. Ich vermute, dass meine Eltern die Hoffnung haben, dass ich mich mit Gulla identifiziere und langsam ladylikes Benehmen an den Tag lege. Beeindruckt mich aber nicht so sehr!

Was mir immer sehr viel Freude macht, sind die Pestalozzi-Kalender herausgegeben von Pro Juventute. Porträts von Berühmtheiten, Aktuelles in der Schweiz, Masstabellen, Tipps für Besonderes wie beispielsweise Pflanzensammeln, Scherzfragen und Rätsel. Im Schatzkästchen sind auch immer wieder Anfragen für Brieffreundschaften aufgeführt. So habe ich einige Brieffreundschaften (DDR, Tschechoslowakei, Japan, Thailand) gefunden. Auch meine Schwester findet so einen Brieffreund.

 

Sehr beliebt sind auch die SJW-Hefte. Man hat sie 1931 gegründet, um der sogenannten Schundliteratur etwas entgegenzuhalten. Viele bekannte Schriftsteller schreiben für diese Hefte. Als Schundliteratur gelten beispielsweise bei mir zuhause alle Fix und Foxi oder Mickey Mouse oder Donald Duck. Ich glaube mich zu erinnern, dass in der Schule jeweils ein Katalog herumgezeigt wird und man sich die Hefte so bestellen kann. Ich glaube, sie kosten 20 Rappen.

Da Lesen meine Fantasie anregt und ich mir klare Bilder von allem mache, kann ich mir Filme über diese Bücher nicht ansehen. Ich erinnere mich, dass ich mich unendlich darauf freue, Doktor Schiwago in Luzern im Kino anzusehen. Es ist für mich eine riesige Enttäuschung. Es sind nicht meine Figuren, meine Welten und alles völlig an meiner eigenen Vorstellung vorbei. Ich gehe völlig am Boden aus dem Kino. Deshalb habe ich mir dann auch später keinen Winnetou-Film angeschaut. Für mich ist Pierre Brice nicht mein Winnetou. Ich empfinde ihn als nicht real, ja als kitschig und lächerlich im Gegensatz zu meinem Bild dieses Indianerhäuptlings.

All diese Geschichten haben bei mir immer mehr das Bedürfnis geweckt, selber Geschichten zu schreiben. Gerne würde ich diese heute mal lesen können. Leider sind sie bei einer Psychologin verloren gegangen.

Ja, und heute schreibe ich selber Geschichten, sei es für die Bühne oder einfach zum Lesen. Unglaublich schön, wenn man selber Welten erschaffen, wenn man manchmal auch Werte vermitteln oder den Finger auf Missstände halten kann. Dabei hoffe ich, zum Denken anzuregen oder einfach nur Freude zu bereiten.

Eine friedliche Adventszeit trotz …

Ihre Iris Minder

5 Kommentare

  1. Oh ja das weckt bei mir auch wieder viele Erinnerungen! Meine Großmutter hat mir immer Märchen erzählt- das war soooo spannend und ich konnte kaum den nächsten Abend erwarten. Nachlesen konnte ich nicht weil sie alles im Kopf hatte. Sie hat mir auch immer Bücher geschenkt, ich war auch und bin immer noch eine Leseratte. Ein spannendes Buch kann ich noch heute ganz lesen …..auch ich hatte Brief Freundschaften aus der DDR und Rumänien. Die SJW Heftchen oh das war so toll ich hätte am liebsten alle bestellt aber das Sack Geld musste eingeteilt werden. Es war mir ein großes Anliegen meinen Kindern die Liebe zu Büchern, Geschichten und Briefen weiterzugeben.

  2. Liebe Iris
    Es waren wirklich spannende Abende – vor allem jetzt in der Winterzeit. Allerdings konnte ich nicht heimlich weiterlesen, weil unsere Mutter bei Dir gelernt hat, das Buch jeweils mitzunehmen! 🙂 Ich wusste nicht, wo sie es aufbewahrte…..

  3. Es ist einfach schön zu hören, dass viele Menschen mit den gleichen Büchern und Heften aufgewachsen sind. Das verbindet. Und danke unsern Müttern, dass sie uns am Abend noch im Herz und im Kopf den Gang in fremde Welten ermöglichten. Schliesslich hatten sie ja ein Tagwerk hinter sich. Und dir, Iris danke, dass du uns daran erinnerst!

  4. liebe Iris, ich habe in meiner Kinderzeit Ähnliches wie du erlebt und kann mich deshalb völlig mit dir identifizieren; mein absolutes Lieblingsbuch, das ich in- und auswendig kenne ist die rote Zora. Sie war für mich ein absolutes Vorbild und ich eiferte ihr in allem nach. Dies hatte zur Folge, dass im Schulzeugnis unter Betragen abwechslungsweise „vorlaut, ungenügend, schwatzhaft, muss sich stark bessern“ eingetragen wurde. Meine Eltern waren gar nicht „amused“ und mussten x Mal beim Rektor vortraben …

    Liebe Iris, ich freue mich bereits jetzt auf Nummer 18, du bescherst uns immer wieder Köstlichkeiten, die uns den grauen Alltag versüssen …

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