Iris Minder

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E CHLY ZRÜGG LUEGE (24)

ES GUETS NÖIS EUCH ALLEN!

Was für eine völlig andere Zeit waren doch die 50er und 60er Jahre, in denen ich aufgewachsen bin! Ich will nicht sagen, dass damals alles besser war. Nur schon, wenn ich daran denke, wie oft ich sogenannte «Dotzen» (Schläge mit dem Lineal auf die Handflächen) bekam und dies nur, weil ich nicht schön schreiben, genau im Hüseli oder auf der Linie, konnte. Es hat nichts genützt, ausser das Gefühl von Kränkung und Demütigung.

 

Respekt: Ein Grundbedürfnis

Und doch gibt es da zwei Ausdrücke, die meiner Meinung nach heute etwas an Wert verloren haben: Rücksicht und Respekt. Rücksicht nehmen auf andere Menschen beispielsweise hat mit Respekt zu tun. Aber was bedeutet eigentlich Respekt? In Wikipedia wird er wie folgt definiert: Wertschätzung, Anerkennung, Ehrerbietung gegenüber einem andern Lebewesen. Ich ergänze es noch mit Höflichkeit, Fairness, Toleranz, Achtung, Anerkennung und dies auch gegenüber der Natur, der Gemeinschaft, eigentlich gegenüber allem, was rund um uns existiert.

Es ist ein Grundbedürfnis von JEDEM, ernst genommen und akzeptiert zu werden wie und wer wir sind. Man muss nicht jeden lieben, aber respektieren schon. Ein Mangel an Respekt kann sich aufs Selbstwertgefühl auswirken. Es ist schon so, dass Respekt im Sinne von Anerkennung von aussen uns dahingehend prägt, was wir selber von uns denken. Man zweifelt sonst an sich: Bin ich überhaupt etwas wert? Bin ich gut genug? Bin ich so wie ich bin in Ordnung?

 

Respektspersonen sollten selber respektvoll sein

Respektspersonen waren für mich als Kind Autoritäten, die man nicht in Frage stellte. Die Lehrer (in unserem Primarschulhaus gab es 12 Lehrer und eine Lehrerin) waren Respektspersonen, denen man weder widersprach noch gegen die man in irgendeiner Form aufbegehrte. Ich jedenfalls als Kind tat es nie direkt, auch wenn einiges noch so ungerecht gewesen ist. Pfarrern und Ärzten hat man alles abgenommen. Was sie sagten, war sakrosankt. Und vor der Polizei hatte man einen Höllenrespekt. Was der Vater sagte, war Gesetz. Das alles war für mich immer etwas schwierig, da ich häufig einfach handelte, wie es mir gerade so in den Sinn kam. Das führte halt immer wieder zu Sanktionen. Es wäre mir jedoch nie in den Sinn gekommen, diese mit Worten (in Gedanken schon) anzuzweifeln oder mich zu erklären oder gar mich zu wehren. Klar maulte ich immer wieder vor mich hin, was jedoch erneute Sanktionen zur Folge hatte. Es machte mich traurig und verzweifelt, dass ich es nie schaffte, so zu sein wie all die Respektspersonen es einforderten und ich mich immer wieder vergas und ausscherte. Aber ich habe die Obrigkeit nie in Frage gestellt und bemühte mich kein Missfallen zu erregen. Wenn ich zurück denke, waren viele dieser Haltungen der Respektspersonen respektlos mir und natürlich auch den andern gegenüber, so im Sinne: Du musst anders sein als du bist.

Aber die Haltung, dass jemand in einer verantwortungsvollen Position auch eine respektvolle Person steckt, hat mich, bis ich 1991 nach Grenchen kam, geprägt. Heute kann ich nur den Kopf schütteln über so viel Naivität. Ich wurde als erste Chefbeamtin als Leiterin des Amtes für Kultur gewählt und kam mit der Einstellung her, dass ein politisches oder öffentliches Amt durch Personen besetzt ist, die auch als Menschen in jeder Beziehung respektvolle Persönlichkeiten waren. Ich sollte da schon in den ersten Wochen hart auf den Boden der Realität fallen. Sexuelle Belästigungen von Pornofilmen im Postfach bis hin zu unmissverständlichen Angeboten oder Betasten, perfide Intrigen, abschätzende Bemerkungen, Herabwürdigung und vieles mehr hat mir – heute muss ich sagen zum Glück – gezeigt, dass eine Respektsstellung nichts mit der Person in dieser Position zu tun haben muss. Im Gegenteil: Sie erfüllten ihre Aufgabe nicht, denn ihnen selber fehlte der Respekt vor andern. Sie versteckten sich hinter einer Autoritätsposition und benahmen sich sowohl gegenüber Kollegen, Angestellten und Gemeinschaft respektlos, ohne Fairness, Achtung, Anerkennung oder Höflichkeit.

 

Respekt ist etwas Wertvolles

Ich habe jetzt die Seite von Respekt aufgezeigt, die eher mit Furcht umschrieben werden kann. Eine Seite, die mich jahrelang, vor allem in der Kindheit geprägt hat. Aber: Respekt ist heute für mich etwas Wertvolles, nämlich immer dann, wenn es in der ursprünglichen Bedeutung gelebt wird. Achtung vor der Natur zum Beispiel. Diese Art von Respekt fehlt heute ein wenig. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, den Abfall einfach aus dem Auto rauszuschmeissen. Beim Wandern wurde peinlich darauf geachtet, den Abfall wieder im Rucksack mitzunehmen. Auch Respekt gegenüber andern Menschen, wenn es darum ging, sie nicht mit Lärm oder rüpelhaftem Benehmen zu belästigen, war ein wichtiges Thema in der Erziehung und hat mich positiv geprägt.

Manchmal denke ich, dass gerade dieser Teil von Respekt heute vielerorts verloren gegangen ist. Alles wird liegen gelassen. Sollen doch die andern aufräumen. Ich habe das Recht, mich frei zu entfalten, wie ich will. Was interessiert mich das Umfeld? Es gibt ja Menschen, die dafür bezahlt werden, unseren Dreck wegzuräumen. Ich habe diese Woche gelesen, dass ein Bauer in seinem Feld nach Silvester über 300 Liter Abfall hat einsammeln müssen. Da fehlt mir einfach jedes Verständnis für diese Respektlosigkeit. Es gibt noch viele weitere Respektlosigkeiten heute, die mich traurig stimmen. Gerade in Beziehungen beobachte ich das. Man macht riesige Versprechungen und hält sie einfach nicht ein. Belügen. Betrügen. Bestehlen. Man bekommt Briefe per Post und dankt nicht einmal dafür, das ist doch egal. Abmachungen muss man nicht einhalten, warum auch? Anfragen muss man nicht beantworten, man kann auch ohne gut leben. Ich weiss, das scheinen alles Kinkerlitzchen zu sein. Aber sie sind es nicht, prägen sie doch Beziehungen und den Umgang miteinander. Sie bedeuten doch irgendwie Geringschätzung, Missachtung und haben nichts mit Respekt im Sinne von Höflichkeit, Achtung oder sogar Fairness zu tun. Ganz furchtbar finde ich die immer stärker zunehmende Respektlosigkeit in den sozialen Medien, wo man anonym demütigen, beleidigen, kränken und verletzten kann. Mich macht das einfach nur traurig.

Ich möchte mich bewusst bemühen, einen respektvollen Umgang zu pflegen: Höflich zu sein, auch wenn es manchmal (dann, wenn andere mit mir respektlos umgehen) schwer fällt. Den andern ausreden lassen, ihm offen zuhören. Andere Meinungen stehen lassen, ohne überzeugen zu wollen. Andere nicht ändern wollen. Fair und tolerant bleiben, auch dann, wenn ich eine Autoritätsfunktion inne habe. Achtung haben vor allen Lebewesen, der Natur, dem Besitz, Beruf und Aufgabe von allen Mitmenschen.

Aber ich versuche auch, mit mir selber respektvoll umzugehen. Was bedeutet, dass ich aufhöre zu denken, ich sei nicht gut genug. Was ich mache, ist eigentlich nicht viel wert. Wie ich bin, ist nicht richtig. Ja, ich denke, respektvoller Umgang beginnt mit sich selber. Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

In diesem Sinne herzlich

Ihr Iris Minder

8 Kommentare

  1. Liebe Iris, ich unterstütze deine Gedanken voll und ganz … und vor allem hast du Recht: Respekt mit sich selbst ist die Basis, um auch alle anderen respektieren zu können, die Respekt verdienen …

  2. Liebe Iris, du kannst deine Gedanken immer wunderschön in Worte fassen. Ich beneide dich um dieses Talent und ich freue mich heute schon auf den nächsten Blog von dir.

  3. Liebe Iris
    Eine kräftige und sehr emotionelle Zusammenfassung! Du hast es auf dem Punkt gebracht, was viele von uns tagtäglich beschäftigt. Dein Schreiben ist, wie jedes Mal, nicht nur ein Vergnügen sondern auch eine Bereicherung!
    Hut ab und lieben Dank, dass du deine Gedanken mit uns teilst!
    Herzlichst
    Basrie

  4. Liebe Iris.
    Besten Dank für diesen Blog.
    Du hast eine grosse Problematik perfekt auf den Punkt gebracht.
    Wenn alle Menschen so denken und handeln würden gäbe es keine Kriege und keine Flüchtlinge. Auch der Natur- und Tierschutz wären selbstverständlich. Und noch vieles mehr. Kurzum, es würde uns allen besser gehen. Da fragt man sich schon warum der Mensch so egoistisch und respektvoll sein kann?
    Liebe Grüsse (ich freue mich auf den nächsten Blog) Tony

  5. Sehr geehrte Frau Minder,
    ganz herzlichen Dank für den spannenden Blog, der wie immer sehr interessant ist.
    Ich wünsche Ihnen für das neue Jahr vorallem gute Gesundheit.
    Herzliche Grüsse.
    Sylvia

  6. Ich habe es auch miterlebt ich wurde am stuhl festgebunden dass mein kopf nicht zu tief beim schreiben ist vierte klasse du weisst wer liebe grüsse elisabeth

    1. Ja, der Herr Hodel, respektlos gegenüber den Schülern mit solchen Massnahmen und respektlos gegenüber kleinen Mädchen mit Betatschen. Wurde dann wegen Letzterem aus dem Schuldienst ausgeschlossen.

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