Iris Minder

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E chly zrügg luege (31)

Liebe Leserinnen, liebe Leser

In zwei Jahren feiert das Theater «JAWOHL» seinen 25. Geburtstag und das Kindertheater BLITZ wird bereits 20 Jahre alt. Gemeinsam mit Nadja Rothenbühler, Ruwen Kronenberg und Tom Muster haben wir beschlossen, die Novelle von Gottfried Keller «Kleider machen Leute» als Jubiläumsstück irgendwo in Grenchen auf die Bühne zu zaubern. Aber, was hat jetzt das mit «E chly zrügg luege» zu tun?

Ich möchte auch bei diesem Stück, wie in meinen früheren Freilichtspielen, einen Bezug zu Grenchen machen. Bei einem Brainstorming-Mittagessen mit einem Freund von mir, Bruno Schaad, sind wir uns einig geworden, dass «Kleider machen Leute» nicht nur in Grenchen, sondern genau deshalb auch in den 1950er Jahren stattfinden soll. Aufschwung, Wohlstand, Wachstum, Sein und Schein dieser Zeit passen bestens zu Kellers Novelle. Seit zwei Wochen dramatisiere ich nun diese Geschichte und beschäftige mich natürlich mit den 50er Jahren. Fan oder angefressen von dieser Zeit bin ich nicht, aber sie hat schon was Besonderes: So die Gegensätze zwischen Freiheit, Aufbruch, Lebensfreude und gleichzeitig verkrampfter Enge, handfester Strenge und Prüderie ergeben einen herrlichen Spannungsbogen, bestens geeignet eine bilderreiche Komödie zu kreieren.

Musik

Aber gerade in der Musik zeigten sich die beiden gesellschaftlichen Extreme der 50er Jahre. Klar, hört man noch heute diese beiden Stile. Aber damals war es neu, diese amerikanischen wilden Sounds gegenüber den eher gefühlsduseligen deutschen Schlagern.

Da sind auf der einen Seite die Schlager, die noch bis heute in den Ohren klingen: Cornelia Froboess mit «Pack die Badehose ein», Kilima Hawaiians mit «Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand», Lys Assia mit «Oh mein Papa», Caterina Valente mit «Tipitipitipso», Peter Kraus mit «Hula Baby», Lolita «Seemann, deine Heimat ist das Meer», Freddy Quinn «La Paloma», Peter Alexander mit «Mandolinen und Sonneschein» usw. usw. Ich könnte jetzt mehrere Seiten füllen mit solchen Schlagerhits … ah, da kommt mir gerade noch einer in den Sinn und zwar  von Ralf Bendix. Wissen Sie es? Genau! «Babysitter-Boogie». Ah, und noch einer «Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett» von Bill Ramsey. Aber jetzt halte ich mich zurück.

Nein, doch noch nicht ganz. Auch die Schweiz hatte damals ihre Schlagerhits. Marthely Mumenthaler und Vrenely Pfyl mit beispielsweise «Nach em Räge schint Sunne», Vico Torriani «Silberfäden», Hans Burger «Das Munotglöckelein», Emil Hegetschwiler «Min Hund», Geschwister Schmid «I ha en Schatz am schöne Zürisee».

Daneben aber rockte und krachte es amerikanisch mit Bill Haley «Around the Clock», Little Richard «Tutti frutti», Jerry Lee Lewis «Whole Lotta shakin’ Goin’ on», The Platters «Only you», Doris Day «Que Sera, Sera», Johnny Cash (noch heute einer meiner Lieblingssänger) «I walkt he line», Chuck Berry «Roll over Beethoven» oder der Hüftschwenker Elvis Presley beispielsweise mit «Jailhouse Rock», «Wake up littler Susie» von den Everly Brothers … auch hier könnte es jetzt seitenweise weitergehen.

Essen

In den 50er Jahren nahm der Fernsehapparat immer mehr Einzug in die Privathaushalte. Und so auch die erste Kochsendung in Deutschland mit Clemens Wilmenrod. Wilmenrod war Schauspieler und hatte eigentlich keine Ahnung vom Kochen. Wie man eine Zwiebel schneidet, hätte er, wie man sich erzählt, erst drei Jahre nach der ersten Kochsendung gelernt. Trotzdem war seine Sendung ein Strassenfeger. Und: Was er kochte, wurde an den folgenden Tagen sofort ausprobiert. Er mischte Büchsenkost mit Frischem, benützte Ketchup oder Fertigsaucen. Berühmt bis heute ist sein Toast Hawaii. Oder der absolute Hit: Gefüllte Erdbeeren (Erdbeeren mit einer Mandel). Bei meinem Szenenspiel “Die wilden 50er Jahre” im Stadtpark Grenchen konnten die Zuschauer vom Koch höchstpersönlich frisch zubereitete gefüllte Erdbeeren probieren.

Die Restaurantkette Mövenpick hat ebenfalls einen Hit kreiert: Riz Casimir. Reis mit Ananas und Pfirsichen, alles aus der Büchse, an einer Currysauce.

In den 50er Jahren kamen die Cocktailpartys mit Buffets und einer Unmenge an neuen Häppchen auf.  Die Damen erschienen im Cocktailkleidchen. So entstanden viele typische kleine Schlemmereien.

Nach den Zeiten von Verzicht in den 40er Jahren gönnte man sich etwas. So war Mayonnaise allgegenwärtig, sei es in russischen Eiern, in russischem Salat (mit Büchsengemüse und Mayonnaise), Mayonnaise-Eier mit Tomaten zu Fliegenpilzen gestaltet, gefüllte Schinkenrollen meist mit russischem Salat oder Büchsenspargeln. Oder: Man nehme einen Kohlkopf, packe ihn in Alufolie (ebenfalls neu damals) ein und bespicke alles mit Spiessli aus Tomaten, Traubenbeeren, Oliven, Käse, roten Büchsenkirschen, Ananasstücken (Büchse), Schinken usw. Dann gab es viele Essen in verschiedenste Figuren geformt in Aspik und immer Mayonnaise dabei. En vogue zu den Cocktailpartys waren die verschiedenen Bowlen mit Früchten oder Waldmeister, immer mit Sekt und Schnaps angereichert.

Die Jugend

Teilweise machten sie sehr angepasst bei gediegenen Cocktailpartys mit. Andere wiederum wandten sich dem ungezügelten, wilden Rock zu. Tanzten ausgelassen Rock’n’roll, Elvistolle bei den Jungs (die man auch Halbstarke nannte), Rockabilly-Frisuren bei den Mädchen, häufig mit Maschen. Die Kleider der Damen mit Wespentaille oder gerade wadenlang. Der Hit für die Mädchen die Petticoats, so weit wie nur möglich, enge dreiviertellange Jeans und schon in den 50er Jahren sah man die ersten Hotpants und Bikinis. In der Nacht trug man als Mädchen gerne Baby Dolls (Kurze Pluderhosen mit einschneidenden Elasten und ein lockeres Oberteil mit Puffärmeln). Dem gegenüber gab es immer noch die langen Barchent-Nachthemden mit Bettjäckchen. Statt Schlager wurde wilde Rockmusik getanzt und gehört, man rauchte, trug als Jugendlicher Lederjacken. Ah ja, und man begann Kaugummi zu kauen. Dabei wurde man immer wieder von den Erwachsenen ermahnt, diese ja nicht herunterzuschlucken, da sie den Magen verkleben sollten.

Und die kleinen Mädchen spielten mit dem absoluten Hit, den Gummipuppen. Diese konnten richtig «bislen». Davon gab es eine europäische Version, aber auch ein Negerbäbi (heute politisch kein korrekter Ausdruck). Apropos: In der Sonntagsschule der Kirche war immer ein besonderes Kässeli aufgestellt, für die Mission. Es war ein «Negerli», das, wenn man Geld einwarf, immer dankbar nickte. Unglaublich! Was für eine Einstellung! Aus heutiger Sicht etwas vom Schlimmsten.

Politik

Nur kurz: Es war die Zeit des Kalten Krieges, der beiden Blöcke Ost/West. Die Zeit, in der Russland der sogenannte BöFei (Böse Feind) war. Die Zeit, in der man sich im Ausland als Schweizer zu erkennen geben musste, wenn man nicht als unbeliebter Deutscher angesehen werden wollte. Die Zeit von Marktwirtschaft und Sozialismus. Die Zeit der Isolation der von Russland besetzten Gebiete wie DDR, Tschechoslowakei, Polen, Ungarn. Die Zeit des Ungarnaufstandes. Die Zeit der Spionage (immer wieder in Filmen und Thrillern thematisiert), die Zeit der Frauen- Friedens- und Antiatombewegungen. Die Zeit des Wiederaufbaus in den vom Krieg zerstörten Ländern. Die Zeit der Amerikabegeisterung in Musik, Kleidung, Hot Dogs, Hamburger. Die Zeit, in der die Schweiz ihre Rolle während des Nationalsozialismus noch als nur positiv betrachtet hatte.

Was für eine aufwühlende und extreme Zeit, diese 1950er Jahre! Erinnern Sie sich?

ÜBRIGENS: Wer sich für diese Zeit besonders interessiert, kann die 50er-Jahre-Sonderausstellung  im “Kultur-historischen Museum” Grenchen ab März anschauen gehen. Es lohnt sich.

Mit liebem Gruss
Iris Minder

Die Fotos im Text sind aus dem Internet: https://docplayer.org/docs-images/80/80434131/images/3-0.jpg;85ebd7a1-c52f-4bb7-b984-9625fa78201e_w1600_r1.3885714285714286_fpx48.86_fpy49.84; alte-Puppe-Gummi-Gummipuppe-DDR-dunkelhäutig-braun-schwarz; depositphotos_86975896-stock-illustration-1950s-party-goers; Scan-altes-Kochbuch-mit-Wilmenrod-2; Missionskässeli von tutti.ch; https://www.rockabilly-rules.com/blog/die-milchbar/;https://www.langenthalertagblatt.ch/der-stoff-der-uns-zusammenhaelt-601978861776; https://www.retosboogiefactory.ch/Main/index.php/boogie-woogie

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