Iris Minder

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Liebe Leserinnen
Liebe Leser

«Gschänkti Zyt» heisst das Stück, das Nadja Rothenbühler¹ mit «Jawohl» und «Blitz» zusammen, für die Kulturnacht Grenchen vom 30.9.23 kreiert hat und nun einstudiert. Kinder und Senioren nehmen sich Zeit, einander zuzuhören, einander besser zu verstehen. Ich darf das Grosi Therese spielen, das aus seiner Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren erzählt.

Was mich jetzt gerade beschäftigt ist das mit der Zeit. Wie war das nochmal drei Jahre zurück? Genau in dieser Zeit? Genau! Lockdown.²

Es war eine Zeit, in der sich das Rad aufgehört hat zu drehen. Stille. Ruhe. Zeit haben. Ich weiss noch genau, wie die meisten Menschen dieses «Zeit haben» genossen haben. Man beschäftigte sich innerhalb der Familie miteinander. Die Erkenntnis, dass man daraus lernen und in normalen Zeiten genau diese Ruhe und sich Zeit nehmen füreinander weiterhin pflegen will. «Sich Zeit nehmen» als wertvolles Gut weiterhin leben muss.

Kürzlich meinte eine Kollegin zu mir, sie gehe in letzter Zeit überhaupt nicht mehr gerne unter die Leute. Es sei so eine aggressive Stimmung in der Luft, so ein Gehetze. Ich empfinde das auch so. Im Moment habe ich den Eindruck, dass rundum nur hoch Hektik herrscht. Riesige Autokolonnen überall, Feste, Events, Konzerte, Theater, jegliche Festivals nacheinander und gleichzeitig durch die Natur rasen, ja nicht still halten, auf keinen Fall innehalten, alles ohne Unterbruch weiter, weiter, mehr, mehr, schneller, schneller …

Stopp!! Ich merke, wenn ich das hier schreibe und es mitfühle, dass mein Blutdruck steigt und der Atem stockt. Wo sind sie nun, die man doch als so wohltuend empfand: Ruhe und Zeit?

Ich bin alles andere als nostalgisch und verherrliche meine Kinder- und Jugendzeit in den 50er/60er Jahren in keinster Weise. Gerade was die Erziehung anbelangt, war es nicht gerade einfühlsam einem Kind gegenüber. Aber eines hatten wir damals: Zeit. Hektik kannte man nur, wenn man rennen musste, um rechtzeitig in die Schule, auf den Bus oder Zug zu kommen. Bei mir war es meist deshalb, weil ich so viel Spannendes auf dem Schulweg sah und erlebte oder mich nicht von einem spannenden Buch lösen konnte. Ich konnte Kind sein, konnte mich sozusagen in Ruhe entwickeln. Durfte auch mal Langeweile haben. Ja, Langeweile. Ich erinnere mich an eine solche Situation. Niemand zum Spielen da. So legte ich mich auf dem Bauch ins Gras. Den Kopf auf die Hände gestützt und schaute auf den Boden. Es war so was von spannend, den Ameisen zuzuschauen, diesem lebendigen Hin und Her. Oder – der Klassiker – auf dem Rücken im Gras liegen und den Wolken zuschauen, einfach so, schauen, fantasieren, ziehen lassen. Diese Momente sind noch ganz fest in meiner Erinnerung verankert. Ich bin froh, habe ich die Langeweile in meiner Kindheit nicht mit Gamen und Ähnlichem vertreiben können.

Wenn ich nun die Kinder und Jugendlichen vom «Blitz» erlebe und ihnen im Stück zuhöre, dann tun sie mir leid. Ich zitiere, etwas zusammengefasst, hier aus dem Stück einen Text, der von den «Blitzen» selber geschrieben wurde.

«Dä Überfluss macht üs mängisch Angscht. Mir stöh hüt unger extremem Druck. Mier müesse allne Asprüch grächt wärde, dene vo üsne Eutere, vo de Lehrer, vor Gseuschaft … Karate, es Instrumänt lehre am beschte no e zwöiti Frömdsproch fliessend chönne, scho mit 12i wüsse, was mer speter will wärde, mit 14i scho e Lehrsteu ha. Am beschte aber d Kanti mache, studiere wüu süsch us üs eh nüt wird. När passiere no so Sache wie de Chrieg und Klimakatastrophe, wo erwartet wird, dass mier das mau besser mache aus die Generatione vor üs, wo’s verbockt hei. Mir trage Sache mit üs mit und das gseh mängi Erwachseni nid. Me hed ke Zyt meh die schöne Sache dsgniesse. Usserdäm chöi mir gar nüme Ching si.»

Das macht mich einfach nur traurig. Für mich ist es ein Geschenk, mit diesen Kindern und Jugendlichen zusammen sein zu dürfen, Zeit zu haben, mit ihnen etwas zu gestalten, einander zuzuhören, uns ernst nehmen, Generationen unabhängig!

Ich wünschte mir von ganzem Herzen, – zum Glück haben es bereits viele erkannt – wir alle könnten wieder etwas mehr Ruhe reinbringen, den ganzen Rummel, das riesige Tempo rausnehmen. Als Gesellschaft  unseren Kindern viel Zeit geben für sich, die eigene Entwicklung und auch einmal für ganz wunderbare, herrliche Langeweile.  Eben: «Gschänkti Zyt».

Ihre Iris Minder

 

¹ Toll mal unter der Regie von Nadja spielen zu dürfen

² Ich gehe hier bewusst nur auf einen einzigen Punkt ein, das « Zeit haben» und erwähne alles Negative wie Einsamkeit, Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände, Anschaffung von einem Haustier, das jetzt in normalen Zeit wieder weg muss, Depressionen, Trauer usw. nicht.

Foto: https://www.evidero.de/zeit-besser-einteilen

10 Kommentare

  1. Wir sind in Korsika in den Ferien und du sprichst mir aus dem Herzen. Es ist Vorsaison und trotzdem hat es überall zuviele Leute, Staus, stinkende Motorräder, Lärm, Hektik. Nur im Hinterland und in de Bergen findet man Ruhe, Gelassenheit, die Menschen in den kleinen Bergdörfer scheinen jede Menge Zeit zu haben.

    1. Liebe Kathrin

      Danke, dass du sogar aus den Ferien auf meinen Blog antwortest. Ja, Hinterland und Berge scheinen in Korsika noch Ruhezonen zu sein. Bei uns ist es oft auch nicht gerade erbaulich: Rücksichtslose Mountainbiker. Laut Telefonierende. Hundehalter, die ihre Tiere nicht im Griff haben. Manchmal macht mich das traurig. Ich wünsche dir trotz allem wunderschöne Ferien.

  2. Ja liebe Iris, du sprichst mir aus dem Herzen! Ich erinnere mich an die langen, manchmal auch langweiligen Sommerferien. Im Liegestuhl habe ich oft stundenlang den Wolken zugesehen. Es war so friedlich und still. Die Zeit war langsam, die 5 Wochen Ferien unendlich lang.

    Bei meiner Pensionierung vor 17 Jahren erinnerte ich mich daran und dachte nach der Hektik in den vergangenen Arbeitsjahren, jetzt würde diese Zeit wiederkehren. Die Tage und Wochen würden dahinschleichen, ich mich wohlig im Liegestuhl räkeln und wieder den langsam vorbei ziehenden Wolken nachsehen. Aber oh lätz, dem ist nicht so! Die Zeit raaast…, sie ist zu schnell, uns fehlen die Stunden und Tage, so rasch ist Wochenende, nur, dass wir es manchmal in der Hektik gar nicht merken! Und wir werden rasch alt dabei, jetzt fliegen sogar die Jahre schnell vorbei. Und ich,ich hole jeden Frühling den Liegestuhl aus dem Keller und räume ihn im Herbst ungebraucht wieder dahin zurück.

    1. Lieber Bruno
      Ich hoffe, du kannst etwas von den langen Sommerferienlangeweile deiner Jugend in deinem wunderschönen Garten wiederholen und geniessen. Nimm dir einfach diese Zeit. Herzlich Iris

  3. Danke Iris. Wie wahr!. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Gehetze und Stress beherrschen unser Sein. Wir meinen ja nichts verpassen zu wollen und merken nicht was wir alle verpassen!!! Schade.

    1. Lieber Marcel
      Danke für deinen Kommentar. Du hast so recht … mir kommt die Zeit jetzt so vor, wie wenn man noch schnell alles, wirklich alles machen, erleben und erfahren will … wie wenn, dann alles zusammenbrechen würde und nichts mehr möglich wäre. Wir Menschen sind schon sehr eigenartige Wesen. Herzlich Iris

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