Iris Minder

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Fürio! – Nachbarschaften! – Grenzen!

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich beschrieben, wie ich mir immer mal wieder was einbrocke, dann nach der Zusage mit Schrecken sehe, was es zu tun gibt und am Schluss überglücklich bin, mir dies eingebrockt zu haben.

Bei einem kurzfristig angenommenen Projekt in Rüti b. Büren ging es mir gleich. Man hat mich angefragt, ich habe zugesagt, weil das Thema, das ganze Projekt mich völlig einnehmen.

Worum geht es?

Der historische Hintergrund ist der verheerende Dorfbrand von 1868 in Rüti. 58 Familien, d.h. 265 Personen, haben ihr Haus und das ganze Hab und Gut verloren. Der Brand brach in der Schmiede an der Herrengasse aus und breitete sich wegen des Nord-Ostwindes schnell bis zur Sandgasse aus. Das ist der historische Hintergrund für einen Gedenkgottesdienst am Pfingstsonntag, 20. Mai 2018. Da darf ich Personen aus der Zeit auftreten lassen, die Texte dazu schreiben und gemeinsam mit dem Pfarrer von Rüti arbeiten. Es freut und fasziniert ungemein, mich mit meinen Möglichkeiten einzubringen und mitzuhelfen, diesen Gedenkgottesdienst mit Szenen, Gesang, Bibeltext, Predigt und ev. auch Abendmahl mitzugestalten. Dabei geht es mir nicht nur darum, das grosse Elend im 19. Jahrhundert und das Leid wegen des Dorfbrandes darzustellen, sondern auch aufzuzeigen, dass es in der grössten Not immer auch Hoffnung gibt, Hilfe und man vertrauen kann, so schwer es auch in einer Misere scheint. Was für eine wirklich erfüllende Arbeit!

Am Mittwoch durfte ich zum ersten Mal ein paar der engagierten Verantwortlichen treffen und bin beeindruckt von der Liebe zur Sache und der Freude so etwas zu realisieren. Kurz und gut: ich habe mir wieder was eingebrockt und juble, dass ich es getan habe! Besonders freue ich mich natürlich auf die Zusammenarbeit mit der Seeländerbühne Rüti b. Büren, dem Pfarrer Jonas Lutzweiler, dem gemischten Chor, der Organistin, der Sakristanin, dem Kirchgemeinderatspräsidenten und dessen Sekretärin und allen anderen guten Geistern. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen sich dermassen engagieren und dies in einem Dorf mit «nur» ca. 880 Einwohnern.

Einiges hat mir dann aber doch auch zu denken gegeben. Nun bin ich seit 1991 kulturschaffend in Grenchen, bin unzählbare Male durch Rüti gefahren, an der Kirche und an verschiedenen Häusern vorbei. Man hat es einfach so beim Durchfahren gesehen ohne wirklich wahrzunehmen. Dann bin ich nach der Sitzung zum ersten Mal in diese romanische Kirche gegangen und mir blieb buchstäblich der Mund offen, als ich dieses Bijou gesehen habe. Die Kirche wurde im 12. ev. schon im 11. Jahrhundert gebaut. 1810 wurden die heutigen Fenster eingebaut. Was mich sehr beeindruck hat, sind die einzigartigen Fresken aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Berührende und wunderschöne Volkskunst. Da lebe ich nun fast 27 Jahre in der Gegend und habe nichts von diesem Kleinod gewusst, es nicht wahrgenommen. Ich schäme mich fast ein wenig dafür. Andererseits habe ich auch gemerkt, dass man in Rüti ebenfalls wenig wahrnimmt, was beispielsweise in meinem Bereich in Grenchen passiert.

Wir sind im Grunde genommen Nachbarn und doch trennt uns die Kantonsgrenze oder ist es die Aare? Ich habe kürzlich ein Theater mit ausländischen Mitmenschen, vom Verein Grange Mélange organisiert, gesehen. Dort ging es um Mauern. Es gibt viele unterschiedliche Mauern. Offensichtliche wie die berühmte Berliner Mauer im geteilten Deutschland oder die Chinesische Mauer oder ganz aktuell die Mauer gegen Mexiko in den USA oder die Mauer in Ungarn gegen die Flüchtlinge aus dem Südosten. Es gibt Landesgrenzen als unsichtbare Mauern. Aber es gibt auch viele Mauern, die man um sich selber aufbaut als Schutz vor dem Fremden, vor Übergriffen, aus Angst vor Verletzung oder der Furcht davor «Sich-selber-in-Fragestellen» zu müssen. Aber auch wegen der Befürchtung, die Erkenntnis zu erlangen, dass man selber nicht so perfekt ist oder, dass andere auch ganz Grossartiges tun und nicht nur ich selber.

Nachbarn grenzen sich bewusst oder unbewusst untereinander ab. Wir sind sehr auf uns selber, auf unser «Ding» bezogen und vergessen oft interessiert auch das Andere zu sehen, die vielen Werke engagierter Menschen … oft wertet man die sogar ab. Warum? Um dem Eigenen mehr Wert zu geben? Grenzen? Mauern? Manchmal sollte man die wirklich ab und zu öffnen oder darüber zum anderen schauen. Könnte ja eine Bereicherung werden! So auch über die Kantonsgrenze oder über die Aare zwischen Grenchen und Rüti, Grenchen und Lengnau, Grenchen und Biel, Grenchen und Solothurn, Grenchen und Bettlach …

In Rüti zeigte es sich vor 150 Jahren wie wichtig und rettend Nachbarn sind. Sie kamen um zu löschen, organisierten materielle Hilfe und unterstützten mit all ihren Möglichkeiten. Es wäre doch eine gute Anregung Nachbarschaft zu pflegen, offen zu sein, Respekt zu zeigen und sich auch mit ihnen zu freuen, wenn etwas gelingt. Letzteres vergisst man viel zu häufig: sich mit den anderen über deren Erfolge zu freuen und sie nicht klein zu reden. Aber das ist ein anderes, grosses Kapitel!

Herzlich Ihre Iris Minder

P.S. Ich freue mich übrigens riesig über den Erfolg meines Neffen:
https://m.youtube.com/watch?v=xUAgLW1_7Fo

 

5 Kommentare

  1. Dein Blog regte mich an, um über Nähe und Distanz nachzudenken. Früher, in meiner Arbeit, war das Thema “zämerucke”, sich um den Nachbar kümmern, die Bedürfnisse der andern wahrzunehmen, ein Dauerthema.
    Ich weiss aber auch mittlerweile, dass ich drum gerne in der Stadt wohne, weil ich mit dieser Wohnform eine gewisse Anonymität habe, ohne dass ich sie künstlich schaffen muss. Gerade weil ich in der Arbeit so viel Nähe hatte, brauchte ich in meinem Privatleben unbedingt Distanz. Ich könnte zusammenfassend sagen: Wenn ich in meinem Leben eine freiwillige Distanz habe, kann ich Nähe zulassen, und umgekehrt. Mir macht es immer Eindruck, dass Jesus unglaublich selbstverständlich, sich immer wieder absetzte, er ruderte an das andere Ufer des Sees, weg von der Menschenmasse, denen er vorher so nah gewesen war. Nähe und Distanz sind Zwillinge, und sie in der Balance zu halten, ist lebenslange Arbeit, und es braucht viel Beobachtungsarbeit um zu erkennen, was jetzt grad dran ist.
    Da ich ja eine Frau der Nähe bin, muss ich der Distanz immer wieder Raum geben, denn wenn in einer Beziehung etwas schief läuft, dann ist die Ursache fast immer die, dass ich die Distanz übersehen habe. Auch sie ist eine wärmende Kraft und notwendig.
    Aber das alles kann ich nur sagen, weil du all das, was es sonst noch zu sagen gäbe, so gut beschrieben hast. So sind deine Gedanken immer der Anstoss, in mich zu gehen.
    Danke, Iris!

  2. Liebes Iris,
    Zum Glück hast du dieses Dorfbrandprojekt angenommen.
    Wie alles was Du unternimmst wird auch dieser Gedenkgottesdienst allen Bestens in Erinnerung bleiben.
    DU BIST SPITZE !
    Schade,dass ich nicht dabei sein kann!
    Liebe Grüsse Erika

  3. Herzlichen Dank für diesen berührenden Beitrag – er bringt mir unser Nachbardorf ein ganzes Stück näher. Ich freue mich auf das Theaterstück zum Dorfbrand!

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