Iris Minder

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Wenn sich Krähen mit Pfauenfedern schmücken

Die Fabel vom römischen Dichter Phaedrus hat nichts an Aktualität verloren und wurde auch von La Fontaine 1’600 Jahre später und von Lessing 1’700 Jahre später nacherzählt. Ein allgemein menschliches Thema also: sich mit fremden Federn schmücken.

In der Fabel von Phaedrus wird erzählt, dass sich eine Krähe mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfauen geschmückt und sich dann stolz unter die schillernden Vögel gemischt hat. Sie wurde erkannt und die Pfauen rissen ihr das betrügerische bunte Federkleid aus. Ja, sie gingen sogar so weit, dass sie der Krähe die eigenen Federn ausrissen mit dem Hinweis darauf, dass auch die nicht echt sein können. Ich muss da unbedingt mal ein Stück für mein Gänggi verfassen und inszenieren. Was für ein Stoff! Beispiele dafür gibt es zur Genüge in Kultur, Politik, Berufsalltag, in der Nachbarschaft, unter Kollegen und sogar unter Freunden. Was für ein Stoff! Was für spannende Figuren!

«Sich mit fremden Federn schmücken»

Was bedeutet diese Redewendung eigentlich? Wenn jemand sich mit fremden Federn schmückt, gibt er/sie die Verdienste eines anderen als die eigenen aus. In der Folge davon erhält er/sie Anerkennung für Dienste, die er/sie gar nicht getan hat. Ich bin sicher, dass das vielen aktiven, kreativen und engagierten Menschen bekannt, sehr bekannt, vorkommt.

Warum schreibe ich gerade jetzt über dieses Thema?

Ein sehr guter Kollege hat mir gerade erst erzählt, wie sich andere mit seinen Federn schmücken und sich öffentlich mit diesem gestohlenen Schmuck zur Schau stellen. Es tut sehr weh und ist verletzend, wenn man merkt, dass einem als Schöpfer und Macher die Leistung und Anerkennung geklaut wird.

Auf Personen und Einzelheiten möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, warum sich jemand mit den Federn von andern schmücken muss. Was geht in diesen Menschen vor? Wie kommt es dazu, dass sie ihr eigenes Federkleid nicht wertschätzen?

Möglicherweise zeigt sich bei diesen fremdgeschmückten Personen eine unglaubliche Selbstüberschätzung gepaart mit dümmlicher Gefallsucht. Sie sind überzeugt und im irren Glauben, dass die fremden Federn ihnen gehören, ihre eigenen sind, weil ihr eigenes Federkleid nicht genügt. Sie stolzieren mit diesen Federn herum und gieren nach Anerkennung und Glanz. Sie wollen leuchten, haben aber – und da liegt ihr grosses Problem – selber nicht viel vorzuweisen. Bald haben sie auch eine Gruppe von ebenfalls nach Glanz hungernden «Jüngern» um sich, die sich wiederum mit den falschen «falschen» Federn schmücken. Und da man oft viel zu bequem ist, um an der Oberfläche zu kratzen oder zu hinterfragen, kommt es dazu, dass die mit Pfauenfedern geschmückte Krähe die Anerkennung und Auszeichnung bekommt, die ihr gar nicht zusteht. Ich weiss nicht, ob diese «Diebe» sich noch im Spiegel anschauen können. Sie müssen doch wissen, dass sie betrügen. Sie können doch nicht wirklich davon überzeugt sein, dass der gestohlene Erfolg und die Bewunderung ihnen gelten. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.

Und wenn es dann klar wird, dass das Federkleid gestohlen ist, wie steht dann diese Person da? Nackt? Als lächerlicher Emporkömmling? Glaubt man wie in der Fabel nicht mal mehr an die Echtheit ihrer eigenen Federn? Oft findet leider gar keine Entlarvung statt (ausser bei den wenigen, die sich nicht blenden lassen), weil sich ja dann auch die Anhimmelnden zugestehen müssten, darauf hereingefallen zu sein und sich auf den Schwindel, die Vorspiegelungen eingelassen zu haben. Damit müssen sie sich eingestehen, dass sie sich selber mit fremden «fremden» Federn geschmückt zu haben.

 Eigentlich ein Kompliment

So schmerzlich es ist, so verletzend und so abwertend man es auch empfindet: beim genauen Hinsehen beweist es sich, wenn sich beispielsweise jemand meine Federn aneignet und sich mit ihnen brüstet, dass ich etwas Wertvolles vollbracht habe. Die Federdiebe haben das erkannt und zeigen durch den Diebstahl der bunten Federn, dass sie den Bestohlenen im Grunde genommen bewundern und beneiden. Die fremden Federn überdecken doch nur, dass die betreffenden Personen nichts Eigenes vorzuweisen haben. Sie wollen damit schlicht und einfach von den eigenen Schwächen, von Unbedeutsamkeit und Unkenntnissen ablenken.

«Sich mit fremden Federn schmücken» ist zwar verletzend und schmerzhaft für den Bestohlenen, aber gleichzeitig der tröstende Beweis dafür, dass er/sie eine schöpferische und anerkennungswerte Leistung vollbracht hat.

Ihre Iris Minder

 

Bildquelle: Robert C. Klotz

2 Kommentare

  1. Liebe Iris,
    wie wahr! Ich habe dir einmal die Geschichte erzählt, wie eine Freundin von mir meine Buchidee, die ich nach der Pensionierung umsetzen wollte, still gestohlen hatte, und drei Monate vor meinem Eintritt in den Ruhestand das Buch herausgab, nach MEINEM Konzept. Ich brach den Kontakt ab. Hätte sie mich gefragt, ob sie meine Idee selber umsetzen dürfe, ich hätte wahrscheinlich zugesagt, weil es mir damals wichtig war, dass das Buch überhaupt geschrieben wurde, egal von wem.
    Meine damals heftige Reaktion, die eigentlich untypisch ist für mich, bereue ich nicht. Das Vertrauen war weg, der Glaube an den tiefen Anstand meiner Freundin war weg, die Liebe nicht, aber ich unterscheide zwischen gelebter Liebe und innerer Liebe, die verschlossen bleiben muss.
    Zu sagen wäre noch, dass wir alle “Klauer/innen” sind, leider ist es ein Teil unserer Entwicklung. Aber es ist ein Unterschied, ob ich es in einem gesunden abluege, wie es die kleinen Kindern tun, mache, oder ob ich es hinterhältig und heuchlerisch tue. (Meine Freundin bestritt hartnäckig, dass wir jemals darüber gesprochen haben, dabei “bestellte” ich sie bittend zu einem Exra-Gespräch darüber, ob sie die Idee für brauchbar halte…Und sie war hin und weg von der Idee.
    Ja, so viel zu deinen reichen, sorgfältigen Gedanken und ich spüre trotz allem sehr viel Kraft in dir….Herzlich – Gertrud

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